Die Lüge im eigenen Leben
Christoph Hein, der vom Suhrkamp Verlag gern als „der Chronist deutsch-deutscher Verhältnisse, der präzise Sezierer einer einst geteilten Nation“, gefeiert wird, hat sein Genre gewechselt. Statt aus dem Leben der Anderen präzise zu berichten, hat er aus dem eigenen Leben Anekdoten veröffentlicht und damit eine Räuberpistole verfasst, die soeben gleichzeitig in zwei Büchern und zwei Verlagen erschienen ist. Einmal unter dem Titel „Horns Anfang“ in dem Buch „Gegen-Lauschangriff“ dieses renommierten Verlages, der wohl Texte berühmter Autoren aus Ehrfucht nicht lektoriert, und ein zweites Mal in dem Briefwechsel mit Elmar Faber, der in dem sehr kleinen Verlag Faber & Faber aus Leipzig unter dem Titel „Ich habe einen Anschlag auf Sie vor“ erschien. Die von Hein gehaltene Grabrede für den verstorbenen Verleger Elmar Faber ist das „Husarenstück“ dieses Buches.
Das auch von Elmar Faber, einem veritablen homo mendax, zu dessen Lebzeiten verbreitete Märchen geht darin etwa so:
Christoph Hein, Autor des 1982 vom Aufbau-Verlag veröffentlichten Buches „Der fremde Freund“, („Drachenblut“), gab Anfang 1984 dem damals neuen Verlagsleiter, Elmar Faber, das Manuskript eines Romans mit dem Titel „Horns Ende“.
Die leidige Zensurbehörde „Hauptverwaltung Verlage“ verlangte Änderungen und Striche. Die Zensoren waren faul, aber gaben nicht nach. Elmar Faber ging angeblich bis zu Kurt Hager, dem „Kulturchef“ der SED, „doch alles half nichts, das Manuskript blieb verboten. Als ihm klar wurde, dass er für das Buch nie grünes Licht bekäme, kitzelten ihn wieder einmal sein Stolz und seine Selbstachtung.
Er rief in der Druckerei an und teilte mit, er habe die Genehmigung für das Buch erhalten; die längst gedruckten Seiten könnten gebunden und das Buch ausgeliefert werden. Zwei Tage später – und noch bevor die Herren im Hohen Haus davon etwas mitbekamen – war Horns Ende in den Buchhandlungen und einen Tag danach verkauft und vergriffen. Das war ein einmaliger Husarenstreich, den Elmar Faber da ausführte. Damit wurde Horns Ende das einzige Buch in der DDR, das ohne Genehmigung der Zensur erschien und gegen die ausdrückliche Entscheidung des obersten Zensors Hager.“
In der Suhrkamp Version wird die Geschichte noch etwas bunter. Hein erzählt von einem eingeschmuggelten Computer mit dem er die Zensoren überlistete. Er habe lediglich das Seitenlayout geändert, aber nichts am Text. Die faulen Zensoren hätten das nicht gemerkt. Doch nichts half, „das Manuskript wurde als staatsfeindlich eingestuft. Die Druckgenehmigung wurde nicht erteilt.“
„Mein Verleger, Elmar Faber vom Aufbau-Verlag, ersuchte nun alle paar Monate den ideologischen Chef des Politbüros um die Druckgenehmigung, doch der oberste Ideologiehüter ließ sich nicht umstimmen. Er war nicht bereit, die Publikation dieses „staatsfeindlichen“ Buches zu genehmigen. Diese Genehmigung wurde schließlich nie erteilt.“
Überraschend tritt bei einer Lesung ein mysteriöser junger Mann auf, der dem verdutzten Autor – im Tausch für ein signiertes Exemplar eines anderen Buches – ein Exemplar von Horns Ende, versteckt in einem Cover eines Karl May Buches in die Hand drückt und verschwindet. Elmar Faber habe neben ihm gestanden und laut lachend alles mitbekommen. Er könne das nur damit erklären, dass ein Drucker nach dem von Faber eigenmächtig veranlassten Druck ein paar Exemplare des ungebundenen Buchblocks heimlich mit einem fremden Cover versehen habe. Hein vergleicht diese Schmonzette mit gefährlichen Aktionen der illegalen KPD im Dritten Reich: „Nun hatte mein Roman in ähnlicher Camouflage den Weg zu den Lesern gefunden.“
„Ein Jahr später gab es noch immer keine Druckgenehmigung.“ Faber rief in der Druckerei an und erklärte, die Genehmigung sei erteilt. „Man druckte“ (nochmal?), „fünf Tage später (in der Grabrede sogar nach nur zwei Tagen) lag das Buch in den Buchhandlungen“ und auch in dieser Version, noch ehe die Hauptverwaltung Verlage und der Ideologiechef davon etwas mitbekamen, war die gesamte Auflage „verkauft und vergriffen“.
Der Kopf des Verlegers sei nur gerettet worden, weil die DDR die feindseligen oder bitteren Reaktionen der westlichen Presse scheute.
Dem Erfinder dieses Märchens ist irgendwann aufgefallen, dass der Aufbau-Verlag eine zweite Auflage des Buches in der DDR veröffentlicht hat. Dafür „eine Genehmigung einzuholen, hätte nur schlafende Hunde geweckt, auch sie schmuggelte sich an der Zensur vorbei. Damit wurde Horns Ende ein Roman, der in der DDR ohne Genehmigung erschien, und es war wohl das einzige Buch, das sich in dem Ländchen eines Tarnmäntelchens bediente, um auf die Welt zu kommen.“
Es war alles ganz anders
In dem von Suhrkamp veröffentlichten Buch ist eine Anekdote mit dem Titel „Es war alles ganz anders“ enthalten. Christoph Hein berichtete über den im August 1948 in der früher Breslau und nun Wroclaw genannten schlesischen Stadt durchgeführten Weltkongress der Intellektuellen. Der Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, habe sich geweigert, in die von Polen „okkupierte“ Stadt zu reisen. „Dieser Mann musste unglaublichen Mut und ein erstaunliches Rückrat besessen haben.“ Aber dann erkannte Hein, dass dies „vollkommen der Politik der ostdeutschen Regierung“ entsprach. „Ulbricht weigerte sich, den Anweisungen Stalins bezüglich der deutschen Ostgebiete nachzukommen, und beharrte fünf Jahre lang auf der Rückgabe dieser deutschen Länder.“ Erst 1951 habe Stalin ihn gezwungen die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ anzuerkennen. Wer danach vom „deutschen“ Pommern oder Schlesien sprach, wurde als Kriegstreiber angeprangert. Wieder einmal wurde Geschichte revidiert und sei der Satz angebracht: „Es war alles ganz anders“.
Man mag dem Lektorat des Suhrkamp Verlages nachsehen, dass im Jahre 1948 die DDR noch nicht existierte und dass Johannes R. Becher erst im Januar 1954 zum Minister für Kultur ernannt wurde, aber die Geschichtsklitterung Heins vom fünfjährigen angeblichen Widerstand Ulbrichts, der ja „unglaublichen Mut und ein erstaunliches Rückrat besessen haben“ müsste, gegen die Deutschlandpolitik Stalins ist doch so peinlich, dass man sie auch einem Schlesier, der mit Recht den Verlust seiner Heimat betrauert, nicht durchgehen lassen kann.
In der Anekdote „Horns Anfang“ erzählt Christoph Hein nach Angaben des Suhrkamp Verlages „von seinen persönlichen Erlebnissen, von Zensur und Reise(un)freiheit – und schließlich davon, wie all das Geschichte wurde.“ Leider ist die Anekdote über die Druckgenehmigung zu „Horns Ende“ auch nur Geschichtsklitterung, denn es war alles ganz anders:
Am 10. September des orwellschen Jahres 1984 schickte Christoph Hein „das veränderte Manuskript“ des Romans „Horns Ende“ an den Aufbau-Verlag mit einem Begleitschreiben in dem er detailliert auf „sehr viele Korrekturen“ hinwies aber auch auf Erzählstränge, die er nicht verändern wolle, denn „nur, damit der Roman kommen kann, will ich ihn nicht so lädieren, daß ich mich seiner schämen muß.“
Die Herstellung der wegen vieler Änderungen notwendig gewordenen zweiten Abschrift des Romans behauptet Hein, der offensichtlich doch ohne Computer arbeitete, habe er selbst honoriert und wäre deshalb dankbar, wenn er, wie vom Lektorat zugesagt, „zumindest“ das übliche Honorar für das außerordentlich gute Typoskript bekommen könnte, „denn fehlerfreie Bücher wie nahezu fehlerlose Manuskripte gehören zu meiner Bibliomanie“.
Am 18. Dezember 1984 beantragte Elmar Faber, der im Mai 1984 Leiter des Aufbau-Verlages geworden war, bei der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur der DDR die Genehmigung für den Druck der ersten Auflage dieses Buches in Höhe von 20.000 Exemplaren. Am 25. Februar 1985 wies Klaus Höpcke, der stellvertretende Minister für Kultur und Leiter dieser Behörde die zuständige Abteilung an, die Druckgenehmigung zu erteilen. Am 26. Februar 1985 wurde dort der Antrag auf Druckgenehmigung unterzeichnet. Die Nummer 120/4/85 bezeichnete für den Aufbau-Verlag (Verlagsnummer:120) die 4. Druckgenehmigung im Jahr 1984. In der Rubrik Bemerkungen wurde eingetragen: „Direktive zu Erteilung der DG von Hn. Höpcke am 25.2.85“. Die Urkunde der mit dem Siegel des MfK und zwei Unterschriften versehenen Druckgenehmigung 120/4/85 wurde am 27. Februar 1985 ausgefertigt. Der Aufbau-Verlag übergab das fertige Manuskript des Buches zusammen mit der Urkunde an den graphischen Großbetrieb Karl Marx Werk in Pößneck, der im Juni 1985 mit der Satzherstellung begann. Die Erhöhung der Auflage auf 25.000 Exemplare wurde am 2. Juli 1985 genehmigt. Nach der Fahnenkorrektur gab der Verlag im Juli den Umbruch zum Druck frei.
Im Impressum des Buches ist pflichtgemäß die Lizenznummer 301 des Verlages der Nummer der Druckgenehmigung vorangestellt: 301.120/4/85. Anfang September lieferten die Drucker aus Pößneck die Bücher nach Leipzig an die zentrale Auslieferung LKG. Von dort wurden routinemäßig vorab die Rezensions- und Belegexemplare verschickt und die Auslieferung an den Buchhandel vorbereitet.
Erst dann musste irgend jemand Christoph Hein bei einem mächtigen Führungskader der SED verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, beschloss am 12. September 1985 die Abteilung Kultur beim ZK der SED auf Anweisung von Professor Dr. Kurt Hager, Mitglied im Politbüro der SED, die Auslieferung des Buches „anzuhalten“.
Am 24. September schickte der Luchterhand Verlag zwei Exemplare seiner soeben in der Bundesrepublik erschienen Ausgabe an Elmar Faber, der am 3. Oktober 1985 zwei Exemplare der Aufbau-Ausgabe als Beleg an den Luchterhand-Verlag schickte. So kann man es im digital erschlossenen Archiv des Aufbau Verlages nachlesen.
Der Stop der Auslieferung wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Nur ein kleiner Kreis „Interessierter“ wußte davon. Die Verlagsleitung erklärte auf Anfragen, dass die Auslieferung „noch nicht abgeschlossen“ sei und wartete auf die Entscheidung der übergeordneten Stellen. In der SED wurde heftig diskutiert. Der Minister für Kultur, Hoffmann, und der Leiter der HV, Höpcke, setzten sich für die Auslieferung ein. Die Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK, Frau Ragwitz, schrieb am 23. Oktober 1985 an das Politbüro: „Genosse Höpcke hat sich für die Auslieferung entschieden“ und am 8. November bestätigte sie, „daß die Auslieferung“ (auch der in den Verlag gelieferten Exemplare) „nur mit unserer ausdrücklichen Zustimmung erfolgen würde.“ Aber erst nach dem Jahreswechsel wurde der Fall gelöst. Die Leiterin der Abteilung DDR Literatur in der HV, Frau Christine Horn, (auffällig ist die Namensgleichheit mit dem Titelhelden des Romans) notierte zur Information für Gen. Höpcke:
„Betreff: Rezensionen zu „Horns Ende“ in DDR-Presseorganen. Nach unseren Informationen sind folgende Rezessionen erschienen: (Aufgrund der vor dem „Anhalten“ erfolgten Auslieferung von Rezensionsexemplaren)
Neue Zeit: vom 4.11.1985
Sächsisches Tageblatt: vom 12. oder 13. Januar 1986, Rezensent Bernd Heimberger (diese Rezension liegt dem Aufbau-Verlag als Ablichtung vor)
Thüringer Neueste Nachrichten: vor kurzem. Genaues Datum war noch nicht zu erfahren. Information von Weimarer Lektorat des Aufbau-Verlages
Horn, 20.1.86“
Das Buch war in der Bundesrepublik beim Luchterhand Verlag zum verabredeten Auslieferungstermin kurz vor der Frankfurter Buchmesse im Herbst 1985 erschienen. In der westlichen Presse waren bereits Rezensionen abgedruckt. Der Kulturminister Hans Joachim Hoffmann bat am 28.Oktober 1985 schriftlich beim Poltibüromitglied Kurt Hager, der das „Anhalten“ verfügt hatte, um die Aufhebung des Lieferstops und wiederholte diese Bitte am 16. Dezember.
Christoph Hein, der schon im Herbst 1985 seine Belegexemplare erhalten und bei einer Lesung im TIP (Theater im Palast) sogar einige der Bücher an Zuhörer verkauft hatte, wußte zwar dass die Auslieferung im Buchhandel der DDR noch nicht erfolgt war, kannte aber nicht den Grund der Verzögerung.
Nach dem Hinweis der HV auf die Lizenzausgabe des Buches in der BRD und auf positive Rezensionen in der DDR-Presse, die aufgrund des („vor dem Anhalten erfolgten“) Versands von Rezessionsexemplaren erschienen waren, hob die Abteilung Kultur beim ZK der SED schließlich im Januar 1986 den Auslieferungsstop für Horns Ende auf.
Im Protokoll der Sitzung des Leitungskollektives des Aufbau-Verlages am 27. Januar 1986 ist unter Punkt 3 („Verschiedenes“) lapidar vermerkt: „Der Titel „Horns Ende“ wird ab 3.2.1986 im Verlag zum Verkauf angeboten.“
Ab dem 16. Februar 1986 wurden die in Leipzig lagernden Bücher kommentarlos an den Buchhandel der DDR ausgeliefert und waren sofort vergriffen.
Am 26. Juni 1986 schrieb Christoph Hein an die Leiterin der Vertragsabteilung des Aufbau-Verlages, dass er für eine Nachauflage noch im Jahr 86 wäre, denn „die Auslieferung hat sich ja doch insgesamt um zwei Jahre verzögert; und 2. den professionellen Kritikern unseres Landes ist dieser Titel in der 1. Auflage offensichtlich ausnahmslos entgangen“. „Gerade diese Leute wären dem Aufbau-Verlag für eine baldige Neuauflage besonders dankbar.“ Daß vielleicht ein diskreter Hinweis der SED die Ursache für die mangelnde Resonanz seines Buches in der DDR-Presse gewesen sein könnte, kam Christoph Hein nicht in den Sinn.
Wohl aus der persönlichen Erfahrung mit der Zensur hat Christoph Hein im November 1987 auf dem X. und letzten Schriftstellerkongress der DDR eine fulminante Rede gehalten: „Die Zensur ist überlebt, nutzlos, paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar“. Er belegt darin die Absurdität der Zensur und kritisiert kaum verhüllt die von der SED beherrschten Medien der DDR, die wegen ihrer Konformität und dem „verläßlichen Konsens ihrer Meinungen“ kaum mehr als ein paar Minuten Aufmerksamkeit erforderten, während selbst in der Sowjetunion jetzt gelte: „Man schlägt am Morgen die Zeitung auf und weiß nicht, was drin steht“. Von der Rede Christoph Heins auf dem Kongress erfuhren die DDR Bürger erst nach ein paar Tagen aus den Westmedien.
Der Aufbau-Verlag hat im Rahmen des Möglichen auch unter der Leitung Elmar Fabers seine Autoren gegen willkürliche Eingriffe der Partei verteidigt, allerdings auch auf dem Weg des vorauseilenden Gehorsams durch die sorgfältige Lektorierung in Hinsicht auf die jeweilige Parteilinie. Gelegentlich kam es trotzdem zu „Fehlern“. Die Auslieferung der mit 12.000 Exemplaren fertiggestellten Autobiographie „Kehre wieder über die Berge“ des Publizisten Walther Victor beispielsweise, der lebenslang ein linientreuer Parteigenosse gewesen war, wurde 1983 wegen der vom Lektorat übersehenen Erwähnung des von der SED tabuisierten Hitler-Stalin-Paktes ebenfalls heimlich „storniert“. Faber erreichte erst fünf Jahre später in einem Gespräch mit Klaus Höpcke die Genehmigung zur Auslieferung der „angehaltenen“ restlichen Exemplare dieses Buches. Die HV bestätigte am 13. November 1988:
„Die 1983 verfügte Stornierung der Auslieferung des Titels „Kehre wieder über die Berge“ von Walter Victor wird aufgehoben. Die noch vorhandenen rd. 4.400 Exemplare können ohne öffentliche Herausstellung … angeboten werden.“
Nach der Wende machte Elmar Faber aber nur aus dem schließlich ebenfalls mit Hilfe von Klaus Höpcke und dessen Vorgesetzten Hans Joachim Hoffmann widerrufenen „Anhalten“ der Auslieferung des Buches „Horns Ende“ sein persönliches Heldenmärchen, vielleicht um auf diese Weise etwas vom berechtigten Ruhm des Autors für sich zu reklamieren.
Die WELT hatte am 23. August 1983 eine falsche Meldung über Christoph Hein verbreitet: „Zweite Auflage eines „DDR“-Romans gestoppt“. Der Publizist Dr. Bilke behauptete darin: „Christoph Heins Novelle „Der fremde Freund“, 1982 im Ostberliner Aufbauverlag erschienen, wird in der zweiten Auflage nicht ausgeliefert und wird somit für „DDR“-Leser zum verbotenen Text“. Christoph Hein schrieb eine Gegendarstellung, die aber nicht gedruckt wurde. Im Kontext der Frankfurter Buchmesse 1983 wiederholte Dr. Bilke in der Welt und im Rheinischen Merkur seine falsche Behauptung. Tatsächlich war der Druck der zweiten Auflage wegen „Papiermangels“ nur verschoben worden, was Christoph Hein in Briefen an den Aufbau-Verlag bitter genug kommentierte.
Aber zwei Jahre später verfügte die Abteilung Kultur beim ZK der SED für das längst genehmigte und auch bereits gedruckte Buch „Horns Ende“ tatsächlich ein (geheim gehaltenes) „Anhalten“ der Auslieferung.
Als nach der Wende Gerüchte über Probleme bei der Veröffentlichung von „Horns Ende“ auftauchten, behauptete Faber plötzlich, dass dieses Buch auf seine Veranlassung ohne Genehmigung gedruckt und dann gegen den ausdrücklichen Willen der SED ausgeliefert worden wäre.
Da niemand widersprach, wurde diese Geschichte immer weiter ausgeschmückt. In zahlreichen Interviews, Pressemeldungen und den vom Aufbau-Verlag veröffentlichten Büchern zum 50., 70. und womöglich auch bald zum 75. Verlagsjubiläum ist das eine der zentralen Legenden, die Fabers heldenhaften Kampf gegen die Zensur, seinen „Piratenakt“ (Angela Drescher) oder „Husarenstück“ (Christoph Hein) und seine sagenhafte „Findigkeit“ belegen sollen. In seiner 2015 erschienen Autobiographie erzählt er detailliert, wie er den illegalen Druck des Buches im Sommer 1985 mit dem Leiter der Druckerei konspirativ verabredet und – in anderen Versionen – wie er nach einem vom SED-Kulturchef Hager persönlich verhängten Verbot das heimlich längst gedruckte Buch am nächsten Tag ausgeliefert habe. Diese riskanten Handlungen erklärt er bescheiden, seien aber keine Heldentaten gewesen, er habe sich schlicht aus Pflichtgefühl und zur Erhaltung seiner Ehre so verhalten müssen.
Die erteilte Druckgenehmigung verschwieg er und obwohl alle Druckgenehmigungen der HV Verlage, auch die für „Horns Ende“, im Bundesarchiv online einsehbar sind, verbreiten auch ernsthafte Journalisten bis heute diese Heldenmärchen, die wohl gut zu einem Träger des Bundesverdienstkreuzes (2007) passen. Aber warum der sonst fast pingelig ehrbare Christoph Hein, einer der bisher zu Recht angesehensten zeitgenössischen Autoren, von seinem Lektorat bei Suhrkamp im Stich gelassen, die Zensur in der DDR mit einer Köpenickiade verharmlost und seine unter schwierigen Umständen erworbene Glaubwürdigkeit durch die Verbreitung solcher Lügengeschichten zerstört, können wohl nur Psychologen erklären.
Für jeden Kundigen ist schon im Impressum der ersten Auflage an der dort genannten Nummer 301.120/4/85 erkennbar, dass die 4. Druckgenehmigung für den Aufbau-Verlag im Jahre 1985 ordnungsgemäß vor Drucklegung des Buches erteilt wurde. (DR 1/2132) (http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dr1_druck/index.htm)
In der DDR war der Druck eines Buches ohne Genehmigung und Lizenz ausgeschlossen. Auch ein genehmigtes Buch konnte jederzeit verboten werden. An der Zensur in der DDR änderte sich bis zur Wende nichts. Sie war überlebt, nutzlos, paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.
Bernd F. Lunkewitz