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Rezension des Buches: Der Aufbau Verlag : und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt / Bernd F. Lunkewitz. – München : Europa Verlage, 2021. – 383 S. ISBN 978-3-95890-432- 3

https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/99658/file/Rezension+Lunkewitz+Der+Aufbau-Verlag+(2021)+-11441.pdf

Rezension von Ulrich Hohoff, Direktor der Universitätsbibliothek Augsburg, 2022:

Im Frühjahr 1991 suchte die Treuhandanstalt einen Käufer für den „Volkseigenen Betrieb“ (VEB) Aufbau-Verlag, einen renommierten Literaturverlag der DDR. Der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann regte den Frankfurter Immobilienmakler Bernd F. Lunkewitz, der als Mäzen bekannt war, an, sich hier als Investor zu betätigen. Im Herbst 1991 wurde die „Aufbau-Verlag GmbH i.A.“ (d.h. im Aufbau) an eine Beteiligungsgesellschaft von Lunkewitz verkauft. Diese bezahlte vier Millionen DM für einen Verlag, der stark verschuldet war; jeden Monat liefen neue Schulden von ca. 500.000 DM auf. Lunkewitz leitete den Aufbau-Verlag erfolgreich bis zu dessen Insolvenz wegen Vermögenslosigkeit im Jahr 2008. Nach einem Verlegerwechsel setzte Aufbau dann die Arbeit bis heute fort.

Den Erwerb von 1991 feierten die Feuilletons der führenden Zeitungen als großen Erfolg für die Kultur und das Verlagswesen der früheren DDR. Auch das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel lobte Bernd Lunkewitz, der den größten Anteil an der Beteiligungsgesellschaft hielt, mehrmals als Retter des größten belletristischen Verlags der DDR, der sozusagen zu ihrem Tafelsilber gehörte. Denn seit Jahrzehnten wurden hier bedeutende Autorinnen und Autoren der DDR verlegt, darunter z.B. Volker Braun, Christoph Hein, Günter Kunert, Helga Königsdorf, Irmtraut Morgner, Anna Seghers, Erwin Strittmatter, Ehm Welk und Christa Wolf. Daneben erschien dort die legendäre Literaturzeitschrift Sinn und Form, die Peter Huchel lange geleitet hatte. Des weiteren kamen bei Aufbau sozialistische Klassiker, internationale Klassiker der Moderne (oft als Erstausgabe in der DDR), Werkausgaben deutscher Klassiker und natürlich auch Sachbücher heraus. Ferner verlegte man Werkausgaben jüdischer Autoren wie Egon Erwin Kisch und Lion Feuchtwanger. Der Verlag, in dem am Ende der DDR Elmar Faber als Verlagsdirektor wirkte, brachte von 1945 bis heute mehr als 15.000 Bücher heraus. Daher galt sein Verkauf durch die Treuhandanstalt 1991 als ein bedeutsamer kulturhistorischer Schritt und gleichzeitig als Beleg für den achtsamen Umgang der Bundesrepublik mit dem Erbe der Kultur der DDR.

Bernd Lunkewitz als damaliger Verlagsinvestor zeigt im vorliegenden Buch, daß das schöne Narrativ des Verlages und der Medien zumindest in rechtlicher und finanzieller Hinsicht nicht den Fakten entspricht. Wie der Titel ankündigt, sieht er sich in der Rolle des Betrogenen, der zum Opfer krimineller Taten sowohl der Sozialistischen Einheitspartei der DDR (SED) als auch der bundesdeutschen Treuhandanstalt wurde. Das Buch mit seinen 17 Kapiteln setzt mit der Verlagsgründung 1945 – 1949 ein, behandelt dann aber vornehmlich die Jahre 1989 – 2021.1

Es ergänzt die bereits vorliegenden verlags- und kulturgeschichtlichen Darstellungen über den Aufbau-Verlag von Konstantin Ulmer (2) und dem ehemaligen Archivar des Verlags Carsten Wurm. (3) Das Vorwort steuerte der frühere Spiegel-Journalist Nobert F. Pötzl (S. 9 – 17), Autor eines wichtigen Buches über die Tätigkeit der Treuhandanstalt (4), Pötzl bekennt darin, er habe „bei der Überprüfung der Dokumente keinen Fehler gefunden“. (S. 17).

Das 1990 von der Volkskammer der DDR beschlossene Treuhandgesetz hatte die neu errichtete Treuhandanstalt zur Eigentümerin aller rund 8.500 „Volkseigenen Betriebe“ der DDR gemacht mit dem Ziel, diese an private Investoren zu verkaufen. Die Betriebe sollten weitergeführt werden und viele Arbeitsplätze der früheren DDR sollten erhalten bleiben. „Volkseigener
Betrieb“ hieß die Rechtsform von Industriebetrieben und Dienstleistungsunternehmen. Aufgrund einer Intervention des Aufbau-Verlagsleiters Elmar Faber bei dem stellvertretenden Kulturminister Klaus Höpcke behauptete letzterer im Dezember 1989 im neugewählten SED-/PDS-Parteivorstand, der Aufbau-Verlag sei Eigentum der SED und schlug dessen Überführung in „staatliches Eigentum“ vor; dasselbe galt für 9 weitere Verlage (S. 113-114). Auf der Grundlage dieser Aussage argumentierten die Treuhandmitarbeiter 1991 beim Verlauf des Aufbau-Verlags, obwohl Recherchen der Behörden auf das Eigentum des Kulturbunds hinwiesen. Der gutwillige Käufer Lunkewitz fand dann aber Zug um Zug heraus, daß sein Kaufvertrag auf falschen Voraussetzungen beruhte. Die Treuhandanstalt hatte ihm als angeblichen Verlag nur eine leere Hülle verkauft, zu der gar kein Vermögenswert gehörte. Denn in Wirklichkeit war der Aufbau-Verlag seit der Gründung 19455 – und unverändert bis 1991 – immer Eigentum des Kulturbunds der DDR. Damit war er laut DDR-Terminologie aber kein VEB, sondern ein Organisationseigener Betrieb (OEB), ebenso wie die Parteien und die weiteren „Massenorganisationen“ der DDR. Konnte ein OEB belegen, daß er sein Vermögen
rechtmäßig besaß, so durfte er es behalten. Die Treuhand durfte es dann nicht antasten. Um den Aufbau-Verlag wirklich zu retten, blieb Lunkewitz also nichts anderes übrig, als ihn vom tatsächlichen Eigentümer noch einmal zu erwerben. Das geschah 1995 per Kaufvertrag mit dem Kulturbund.

Die Tatsache, daß man Lunkewitz bei den Verkaufsverhandlungen die sogenannten „Plusauflagen“ verschwiegen hatte, stellte einen weiteren Anlaß dar, um den Kaufvertrag von 1991 anzufechten. Er wunderte sich darüber, daß sofort bei Unterzeichnung des Kaufvertrags die Kriminalpolizei die Aufbau-Verlagsräume – und gleichzeitig, wie er später herausfand, auch die Parteizentrale der PDS – wegen Betrugsverdachts durchsuchte. Der Hintergrund: Bereits Mitte der 1960er Jahre hatten das Zentralkomitee (ZK) der SED, die Kulturabteilung des ZK und die Leitung der Hauptverwaltung Verlage vereinbart, daß die Verlage Aufbau und Volk & Welt zusätzliche, in den Lizenzverträgen nicht vereinbarte Auflagen drucken lassen und verkaufen sollten. Die Gewinne aus diesen Raubdrucken wurden als Sonderabführungen an die SED gegeben; von 1986 – 1989 waren es ca. 1.000.000 DDR-Mark pro Jahr. In den Verlagen war diese Praxis bekannt.

Ende 1989 stellten westdeutsche Verlage deshalb aber Regreßansprüche. Für Aufbau kamen dabei über 6.000.000 DM nicht bezahlte Lizenzgebühren plus nahezu 2.000.000 DM unterschlagene Honorare zusammen, die den Verlagsautoren aus dem „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ zustanden (S. 223). Für den Aufbau-Verlag war die Höhe der Ansprüche existenzbedrohend. Verleger Lunkewitz konnte nachweisen, daß die Treuhand davon wußte, und erreichte nach einem Jahr eine Freistellungserklärung der Treuhand. Die hatte allerdings einen Haken: Sie war auf rechtskräftig erstrittene Schadensersatzsummen beschränkt. Das bedeutete für Aufbau, daß der Verlag Regreßforderungen westdeutscher Verlage ablehnen und die Verlage auf denRechtsweg verweisen mußte. Diese Vorgänge beschädigten das Vertrauen in den Aufbau-Verlag schwer. In der Folge ließen sich viele Geschäfte, mit denen das Programm fortgesetzt werden sollte, nicht mehr realisieren.

Länger als ein Jahrzehnt dauerte schließlich der Rechtsstreit mit der Treuhand wegen des Verkaufs der leeren Verlagshülle an die Investoren. Das Buch von Lunkewitz ist insofern auch eine Chronik von falschen Behauptungen, Vertuschungen und Verfahrensverzögerungen durch die Treuhandanstalt. Denn sie weigerte sich wider besseres Wissen, den Fehler einzugestehen, und klagte sich durch die Instanzen.

Erst 2008 stellte der Bundesgerichtshof in letzter Instanz endlich fest, daß die Treuhand Lunkewitz eine leere Verlagshülle verkauft hatte und der Kulturbund der DDR Eigentümer des Aufbau-Verlags gewesen sei (S. 289 – 290). Anschließend klagten die Käufergemeinschaft und der Verlagseigentümer Lunkewitz für die Jahre ab 19 91 Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe ein. Auch dieser Prozeß zog sich durch die Instanzen; bis 2021 war noch kein rechtskräftiges Urteil ergangen.

Weshalb der Aufbau-Verlag beim Verkauf 1991 überhaupt als Volkseigentum der DDR ausgegeben worden war, das erklärte Klaus Höpcke als Beteiligter erst 2018 in einer eidesstattlichen Erklärung auch für die Öffentlichkeit: Nur als VEB konnte der Aufbau-Verlag Mittel aus dem Parteivermögen der SED/PDS erhalten. Diese hatte 1990 immerhin 3 Milliarden DDR-Mark für soziale und kulturelle Zwecke bereitgestellt. Die Falschinformation vor dem SED-/PDS-Vorstand sicherte dem Aufbau Verlag davon 9.600.000 DDR-Mark, die ihm seinerzeit, noch vor der Gründung der Treuhand, erst einmal das Überleben garantierten (S. 161 – 167).

Im Ganzen läßt sich dieses Buch als ein Lehrstück darüber lesen, wie ein idealistisch gesinnter Mäzen immer tiefer in lange juristische Auseinandersetzungen mit einer großen Staatsbehörde verstrickt wird, aber nicht aufgibt, sondern die Behördenfehler Zug um Zug aufdeckt, belegt und öffentlich macht. Der Autor ist, obwohl persönlich betroffen, durchgehend um einen sachlichen Ton bemüht. Er hat die Aktenauszüge, Gesprächsnotizen, Urteile und persönlichen Erinnerungen an die Abläufe so arrangiert, daß sie weitgehend für sich sprechen. Naturgemäß ist die Lektüre der unendlichen Auseinandersetzungen in seiner Sache aber nicht gerade unterhaltsam.

Lunkewitz‘ Darstellung beruht weitgehend auf der Auswertung von Akten, die hier in vielen Fällen erstmals publiziert sind. Zitiert werden vor allem Akten der Treuhandanstalt bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin, der Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Der Autor weist darauf hin, daß bei beiden Behörden viele Akten zu seinem Thema noch unter Verschluß stehen. Die zweite wichtige Quelle waren Dokumente aus dem Verlagsarchiv des Aufbau-Verlags. Dieses sehr umfangreiche Archiv hat der Autor 2018 als Geschenk an die Staatsbibliothek zu Berlin abgegeben. Daneben wurden weitere Akten herangezogen, vor allem vom Kulturbund der DDR, von der SED/PDS, aus dem Landesarchiv Berlin und von Gerichten, die mit der causa Aufbau befaßt waren. Wichtige Dokumente werden im Anhang abgebildet (S. 324 – 349). Eine längere und sehr hilfreiche Zeittafel (S. 350 – 375), ein Personenverzeichnis (S. 376 – 380) und ein Abkürzungsverzeichnis (S. 381-383) schließen den Band ab.
Ulrich Hohoff

QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft
http://www.informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/
http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=11441
http://www.informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=11441

(1 Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/123138025x/04
2) Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt : die Geschichte des Aufbau Verlages 1945-2020 / Konstantin Ulmer. – Berlin : Aufbau, 2020. – 384 S., Ill. ; 23 cm. – ISBN 978-3-351-03747-5 : EUR 28.00. – Inhaltsverzeeichnis: https://d-nb.info/1208428527/04 – Zuvor hatte er bereist Publiziert: VEB Luchterhand? : ein Verlag im deutsch-deutschen literarischen Leben / Konstantin Ulmer. -1. Aufl. – Berlin : Ch. Links Verlag, August 2016. – 488 S.: 1 Ill. ; 21 cm. – (Forschungen zur DDR-Gesellschaft). – Zugl.: Leipzig, Univ., Diss., 2014. – ISBN 978-3-86153-930-8 : EUR 50.00. – Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/1100890173/04
3) Der frühe Aufbau-Verlag : 1945 – 1961 ; Konzepte und Kontroversen / Carsten Wurm. – Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. – 271 S : Ill., graph. Darst. – (Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens ; 8). -Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1995. – ISBN 3-447-03826-8. – Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/948119853/04 – Gestern, heute, Aufbau : 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 – 2015 / Carsten Wurm. – Berlin : Aufbau, 2015. – 255 S. : Ill. ; 22 cm. – ISBN 978-3-351-03608-9 : EUR 12.00. – Inhaltsverzeichnis: https://dnb.info/1062988191/04
4) Der Treuhand-Komplex : Legenden, Fakten, Emotionen / Norbert F. Pötzl. – 2. Aufl. – Hamburg : kursbuch.edition, 2019. – 254 S. ; 20 cm. – ISBN 978-3-96196065-1. – Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/1186401931/04 – Von diesem Buch erschien 2021 eine Sonderausgabe bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.

5) Zu seiner Geschichte bis 2010 vgl.: Das Schicksal der DDR-Verlage : die Privatisierung und ihre Konsequenzen / Christoph Links. – 2., aktualisierte Aufl. – Berlin: Links, 2010. – 352 S. : Ill. ; 22 cm. – Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2008. – ISBN 978-3-86153-595-9 : EUR 24.90 [#1523]. – Hier: S. 251 – 258. – Rez.: IFB 10-4 https://ifb.bsz-bw.de/cgi-bin/result_ifb.pl?item=bsz32484669Xrez-1.pdf – Ferner für die gesamte Zeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Aufbau_Verlag [2022-04-23].

 

Rezension von Günther Fetzer bei literaturkritik.de: https://literaturkritik.de/fetzer-lunkewitz-der-aufbau-verlag,29853.html

Immobilieninvestor kauft literarisches Flaggschiff

Bernd F. Lunkewitz beschreibt den Erwerb des Aufbau Verlags in zwei Büchern
Von Günther Fetzer RSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer
Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht weniger als drei Verträge musste der Frankfurter Immobilieninvestor Bernd F. Lunkewitz nach dem Beitritt der DDR zur BRD mit der Treuhand, der für die Privatisierung der Volkseigenen Betriebe zuständigen Behörde, schließen, um in den Besitz des literarischen Flaggschiffs der DDR-Verlagswelt, des Aufbau Verlags in Berlin und Weimar, zu gelangen: den ersten am 18. September 1991 mit seiner BFL-Beteiligungsgesellschaft, den zweiten wenige Tage danach mit drei weiteren Investoren am 27. September 1991 und den dritten schließlich am 24. November 1992. Die Posse, dass die Treuhand das Grundstück des Verlags in Berlin-Mitte durch einen Formfehler dabei ebenfalls an Lunkewitz verkaufte und dann zurückkaufen musste, was diesem einen Millionenbetrag einbrachte, muss hier unerzählt bleiben, kann aber im Buch ausführlich nachgelesen werden.

Damit war die Privatisierung des Vorzeigeverlags der DDR noch nicht abgeschlossen. Lunkewitz erfuhr 1994, dass die Treuhand den Verlag gar nicht hätte verkaufen dürfen, da er nicht als ehemaliger Volkseigener Betrieb (VEB) ihr Eigentum war, sondern der Verlag weiterhin dem im August 1945 gegründeten Kulturbund gehörte. Daraufhin kaufte er persönlich vom Kulturbund am 28. Februar 1995 die möglicherweise noch existente Aufbau-Verlag GmbH (alt) und am 21. Dezember 1995 den Geschäftsbetrieb mit dem gesamten Vermögen des Aufbau Verlags. Er verklagte im selben Jahr die Treuhandanstalt beziehungsweise deren Nachfolgeorganisation BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben). Die Verfahren zogen sich hin. Einer der befassten Richter sagte im Jahr 2000 zum Kläger: „Wir wissen, dass Sie Recht haben, das kriegen Sie hier aber nicht.“ Erst am 3. März 2008 erging ein letztinstanzliches Urteil durch den Bundesgerichtshof – bestätigt durch entsprechende Urteile vom 27. September 2010 und vom 12. Juli 2011 –, wonach die Treuhand 1991 einen Verlag verkauft hat, der ihr gar nicht gehörte, da er sich im Eigentum des weiterhin bestehenden Kulturbunds befand. Der Nachfolgeprozess wegen Schadensersatzforderungen von Lunkewitz zieht sich bis heute hin; eine Mediation scheiterte.

Der Immobilieninvestor und Verleger Lunkewitz hat diese windungsreiche Geschichte in den beiden hier besprochenen Büchern Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt und Die Beschreibung eines Kampfes dargestellt. Beide sind im Europa Verlag 2021 beziehungsweise 2023 erschienen.

Im ersten Buch beschreibt Lunkewitz auf fast 400 Seiten in 17 Kapiteln zunächst kurz die Gründungsgeschichte des Verlags, seine Neupositionierung bei der „Profilierung des Verlagswesens“ in den Jahren 1962 bis 1965 sowie die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung. Der Autor konzentriert sich dabei auf den Verlagsstatus als „organisationseigenem Betrieb“ des Kulturbunds, der einem Volkseigenen Betrieb (VEB) gleichgestellt, aber nie Eigentum der SED war – obwohl es nach der Wende Versuche der SED/PDS gab, den Verlag zu vereinnahmen. Bei der Darstellung zitiert Lunkewitz wie auch im Folgenden ausführlich aus den inzwischen zugänglichen Akten – so zum Beispiel die eidesstattliche Erklärung Klaus Höpckes, des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR und in Personalunion Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, vom 15. Oktober 2018 [!], in der dieser den geschilderten Sachverhalt bestätigte.

Sehr detailliert und ebenso ausführlich dokumentiert er, dass die Treuhand den Verlag nicht hätte verkaufen dürfen, da sie von mehreren Seiten auf die Eigentumsverhältnisse hingewiesen worden war – vom Kulturbund, vom Sekretariat der UKPV (Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR) und sogar vom hauseigenen Direktorat Sondervermögen. Lunkewitz fasst seine Vorwürfe pointiert zusammen:

Die Treuhandanstalt handelte bei dem nichtigen Verkauf der beiden vermeintlichen GmbHs i. A. [im Aufbau] hauptsächlich durch diese drei Vertreter: den Vorstand Dr. Wolf Klintz, den Direktor Dr. Eberhard Sinnecker und den Abteilungsleiter Klemens Molinari. Sie verheimlichten arglistig gegenüber den Käufern ihre Kenntnisse über wesentliche Mängel der Kaufsache, insbesondere die Plusauflagen und die Eigentumsverhältnisse an den beiden Verlagen [Aufbau und Rütten & Loening], um sich selber die Vorteile aus den (nichtigen) Verträgen dauerhaft zu verschaffen.

An dieser Stelle fügt der Autor eine Fußnote ein, in der er eine Definition des Bundesgerichtshofs einer kriminellen Vereinigung zitiert.

Als wesentlichen Mangel der Kaufsache hat Lunkewitz neben den Eigentumsverhältnissen die Plusauflagen genannt. Das hat folgenden Hintergrund: Aufgrund der prekären Devisensituation der DDR konnten die ostdeutschen Verlage die Lizenzen westdeutscher Verlage nur für eine Auflage mit fest vereinbarter Stückzahl erwerben. In Wirklichkeit wurden jedoch weit mehr Exemplare gedruckt und verkauft, aber nicht abgerechnet. So wurden zum Beispiel von John Dos Passos‘ Manhattan Transfer 30.000 Stück mit dem westdeutschen Verlag abgerechnet, aber 150.000 Exemplare verkauft. Insgesamt summierte sich die nicht gezahlte Lizenzsumme allein für den Aufbau Verlag auf mehr als sechs Millionen DM; 59 Verlage waren betrogen worden. Erst im Jahr 2019 wurde ein Aktenvermerk eines leitenden Treuhandmitarbeiters bekannt, in dem dieser durch Falschinformationen die Kenntnis der Treuhand von Plusauflagen vertuschte und damit nach Ansicht von Lunkewitz den Käufern die Tatsache der Plusauflagen arglistig verschwieg.

Dass Lunkewitz letztlich vor dem Bundesgerichtshof Recht bekam, war jedoch – so der Verleger – ein „Pyrrhussieg“. Er meldete 2008 Insolvenz an und verkaufte den Verlag an Matthias Koch – ebenfalls einen Immobilieninvestor. In den drei letzten Kapiteln des Buchs stellt er, der von sich selbst stets in der dritten Person spricht, die Prozesse in Berlin und Frankfurt dar. Das erste Buch endet mit der Information, dass das Kammergericht Berlin eine Entscheidung für den 15. Oktober 2021 angekündigt hatte. Im Anhang sind zahlreiche Dokumente, die im Text zitiert werden, abgebildet. Ferner informiert eine Zeittafel (im zweiten Band aktualisiert) über den Gang der (juristischen) Dinge zwischen 1945 und 2021.

Im zweiten, mit knapp 200 Seiten halb so umfangreichen Band rekapituliert Lunkewitz zunächst den im ersten Buch ausführlich dargelegten Verlauf und zitiert dann das nach einer Verschiebung am 29. Oktober 2021 verkündete Urteil des Berliner Gerichts und kommentiert: „Die wörtliche Mitschrift dieser Urteilsbegründung demonstriert nicht nur das Niveau der Berliner Justiz, sondern auch die Rechtsbeugung im fiskalischen Interesse der Bundesregierung.“ Und fährt später fort:

Trotz der rechtskräftigen Entscheidungen des BGH zum Eigentum des Kulturbunds am Aufbau-Verlag der DDR hat sich die von der Bundesregierung gesteuerte Justiz dazu entschlossen, mit diesen willkürlichen Urteilen den Fiskus vor der Inanspruchnahme durch die Opfer des staatlich organisierten Betruges zu schützen.

Danach zerpflückt er das recht kurze Urteil des Einzelrichters Dominik Reith und wiederholt überwiegend die Sachverhalte aus dem ersten Buch. Neu ist die Wiedergabe einer eidesstattlichen Erklärung vom 16. März 2023 von Dieter Lange, der von 1978 bis 1983 Direktor des Aufbau Verlags und danach in der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel für den Verlag zuständig war. Lange bestätigt darin die oben erwähnte Darstellung seines ehemaligen Vorgesetzten Höpcke.

Dieser zweite Band ist vor allem auf den Vorwurf der Rechtsbeugung durch die Berliner Justiz zugunsten der Bundesrepublik Deutschland fokussiert. Es ist dem juristischen Laien, der der Rezensent ist, unmöglich, jede Windung der rund zwanzigjährigen prozessualen Auseinandersetzung, die ausführlich durch Archivrecherchen dokumentiert ist, zu verfolgen oder gar bewertend zu kommentieren. Wer jedoch die Prozessentwicklung mit all ihren zurückgehaltenen Informationen und arglistigen Täuschungen betrachtet, kann die heftige Wortwahl des Verlegers Lunkewitz nachvollziehen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass weder der angegriffene Richter noch die Treuhand noch ihre Rechtsnachfolgerin BvS noch das zuständige Ressort der Bundesregierung juristisch gegen Verbalinjurien und Unterstellungen wie die genannten („kriminelle Vereinigung“, „arglistige Täuschung“, „Rechtsbeugung“) oder die folgende vorgegangen ist:

In den Entscheidungsgründen belegen elementare Rechtsverstöße und die Willkür dieses Richters, dass er das Recht vorsätzlich falsch anwendet und damit die vom Bundesministerium für Finanzen gesteuerte BvS vor den berechtigten Ansprüchen der Geschädigten schützt.

Zwar hat der ehemalige Spiegel-Journalist Norbert F. Pötzl in seinem 2019 erschienen Buch Der Treuhand-Komplex an vielen Beispielen aufgezeigt, dass die oft wiederholte Behauptung, die Treuhand habe die DDR-Wirtschaft „plattgemacht“ so nicht stimmt und es gemessen an der Gesamtzahl der zu privatisierenden Volkseigenen Betriebe nur wenige Beispiele für offenkundiges Fehlverhalten der Treuhand gebe, doch liest man die beiden Bücher von Lunkewitz, so drängt sich unabweisbar der Eindruck auf, dass der Fall des Aufbau Verlags zu diesen Fehlleistungen gehört.

Staatskriminalität auf beiden Seiten der Mauer

Dieses Interview wurde leicht abgeändert am 24.12.2021 im nd veröffentlicht unter der Überschrift:

„Sie wußten genau, was sie taten.“ hier die authorisierte Originalfassung:

Staatskriminalität auf beiden Seiten der Mauer?

Im Gespräch mit Bernd F. Lunkewitz über Revolution und Kapitalismus, die Treuhandanstalt und die Geschichte des Aufbau-Verlags

Herr Lunkewitz, bevor sie Immobilieninvestor und Verleger wurden, galten sie als „Che von Kassel“. Verstehen Sie sich noch als links?

Links ist eine Himmelsrichtung und hängt vom Glauben ab. 1968 glaubte ich als junger Mann, dass die Revolution in Russland und China den Sozialismus herbeiführt. Erst Anfang der siebziger Jahre begriff ich, dass sie dort stattdessen die bürgerliche Revolution zum Kapitalismus nachholen. Bekanntlich kommt der ja vor dem Sozialismus, nicht nachher. Die Sowjetunion war deshalb eher dem absolutistischen Feudalismus ähnlich, in dem Landwirtschaft und Rohstoffe wichtiger waren als Technik. Daran gemessen war die DDR fortschrittlich und wurde von vielen Russen beneidet, wie erst recht die kapitalistische BRD im Westen. Ich habe mich damals entschieden, im Kapitalismus lieber Ritter als Knecht zu sein, also Kapitalist zu werden, aber nie die Hoffnung verloren.

Welche Hoffnung?

Dass die Menschheit möglichst bald ihre größten Probleme durch die Verwirklichung des Sozialismus löst.

Viele Ihrer früheren Genossen sind in den Siebzigern zu den Grünen gegangen.

Ich habe Joschka Fischer schon damals gesagt: Die Grünen unterscheiden sich von der FDP darin, dass sie den Kapitalismus nachhaltig wollen. Deshalb fordern sie den Schutz der Umwelt, des Friedens und der Bürgerrechte. Das finde ich gut, finde ich wichtig. Aber ich sage voraus, dass die Menschheit entweder den Sozialismus oder den Untergang erleben wird.

Was ist Sozialismus?

Eine Gesellschaftsordnung, deren Produktionsmittel nicht mehr dem privaten Profit sondern dem allgemeinen Interesse dienen. Was man „Kapital“ nennt, ist ja nicht Geld allein, sondern ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem sehr wenige über die Produktionsmittel verfügen und die sehr vielen nur vom Verkauf ihrer Arbeitskraft an diese Kapitalisten leben können. Lenin und Mao haben dieses gesellschaftliche Verhältnis lediglich verstaatlicht und dann mit rabiaten Mitteln versucht, durch den eisernen Willen der Partei die Produktionsverhältnisse erst herbeizuführen, die aber paradoxer Weise die Voraussetzung dieser Revolution sein sollen.

 Und Trotzki?

Ach, Trotzki, von wegen permanente Revolution – die gibt‘s tatsächlich! Nur eben angeführt von Amazon, Apple, Microsoft und Leuten wie Elon Musk. Das wird an der Börse finanziert und das ist auch gut so. Denn es ist ja die Aufgabe des Kapitalismus, weltweit die Produktivkräfte zu entwickeln und der Menschheit ein globales Wirtschaftssystem zu verpassen in dem Wohlstand für alle möglich ist. Bevor das nicht vollendet ist, geht da sowieso nix mit Sozialismus.

 Und wann soll das sein?

Marx nennt kein Datum, beschreibt aber die gesellschaftlichen Voraussetzungen, also die weltweite Entwicklung und Konzentration der Produktionsmittel in wenigen Händen. Das hat er vor 170 Jahren zu Papier gebracht als es die heutigen supranationalen Konzerne noch gar nicht gab. Wenn man bedenkt, dass in den oberitalienischen Stadtstaaten im 13. Jahrhundert die ersten kapitalistischen Strukturen entstanden, sind ja immerhin schon achthundert Jahre vergangen, aber für die Entwicklung einer neuen Gesellschaftsordnung nach der Sklaverei und dem Feudalismus, die Jahrtausende gedauert haben, ist das eine relativ kurze Zeit.

Und was heißt das für den Sozialismus?

Es wird noch dauern. Aber ich hoffe: Der Sozialismus siegt! Es gibt schon jetzt eine hohe Konzentration des Kapitals in extrem wenigen Händen. Unternehmen wie Amazon sind schon fast Monopole wie es der im Vergleich dazu winzige Volksbuchhandel in der DDR war. Die hundert größten Konzerne zu sozialisieren, ist viel leichter als hunderttausend mittelständische Betriebe. Sehr simple gesagt, müssen die Menschen nur warten, bis alles am Kapitalismus Nützliche für die Gemeinschaft erreicht ist. Bis dahin müssen sie für sozialen Ausgleich, Frieden und Freiheit kämpfen. Am Ende werden ein paar Genossen, ganz oben bei Amazon eingesetzt, und die Sache ist erledigt. (lacht)

„Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“ heißt ein Roman, den Sie vor vielen Jahren verlegt haben. Spricht Ihnen der Autor, Selim Özdoğan, mit dem Titel aus dem Herzen?

Der typische Leser dieses Buches, ist deutlich jünger, als ich es schon damals war. Der Roman ist eine „Coming-of-Age-Story“, die für Leser unter oder um zwanzig attraktiv ist, denn es geht um jugendliche Liebesgeschichten und deren Scheitern, aber nicht um das Scheitern des Sozialismus. Ich habe den Titel verlegt, weil ich damals das Programm des Verlages dringend um jüngere Autoren aus „dem Westen“ und auch mit Migrationshintergrund, aber besonders für jüngere Leser öffnen wollte. Noch wichtiger war die Erweiterung des Programms durch Autoren aus der amerikanischen Literatur, die ja in Deutschland einen extrem hohen Marktanteil hat. Aus dem Grund hatte ich schon vorher den kanadischen Autor Douglas Coupland mit dem Bestseller „Generation X“ in das Programm aufgenommen und dann mit dem Buch „Die Päpstin“ von Donna Cross, den Aufbau-Taschenbuchverlag saniert. Das sprach mir aus dem Herzen: von dem Buch haben wir mehr als 6 Millionen Exemplare verkauft.

Was war Ihr wichtigstes Buch?

Die Tagebücher von Victor Klemperer. Das Jahrhundertwerk „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ ist ebenfalls ein sensationeller Bestseller, aber vor allem ein bleibendes Zeugnis für die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Die Editionsarbeit an den von Klemperer geheim und unter Lebensgefahr geschriebenen Texten hatte der Aufbau-Verlag schon in der DDR begonnen. Als ich das Typoskript zum Jahr 1942 gelesen hatte, wusste ich, dass dieses Buch ein Meilenstein in der Geschichte des Aufbau-Verlages sein wird.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, dass Ihnen die Treuhandanstalt 1991 den Aufbau Verlag verkauft hat, ohne dass sie Eigentümerin war.

Nein, das habe ich so nicht geschrieben. Meine Argumente sind juristisch genauer, aber für Nicht-Juristen auch etwas komplizierter. Die Treuhandanstalt hat tatsächlich nicht den „Aufbau-Verlag“ verkauft, sondern nur die angeblichen Geschäftsanteile an einer angeblichen „Aufbau-Verlag GmbH im Aufbau“, die aber nicht existierte und die auch nicht mehr entstehen konnte. Die Treuhandanstalt war ja nur für die Privatisierung der ehemals volkseigenen, sprich: staatseigenen Betriebe zuständig. Die Betriebe der Parteien und Organisation der DDR gehörten aber nicht dem Staat. Deshalb konnten sie durch das Treuhandgesetz nicht in vorläufige („im Aufbau“) befindliche Kapitalgesellschaften umgewandelt werden.

Und der Aufbau-Verlag?

Der war nie volkseigen oder gar Eigentum der SED. Stattdessen war er das – auch von der SED – anerkannte gemeinschaftliche Eigentum der Mitglieder des Kulturbunds. Nicht nur in meinem Buch, sondern noch detaillierter weise ich das in den Gerichtsverfahren gegen die Treuhandanstalt nach. Die Bundesregierung behauptet nur noch dort, dass der Aufbau-Verlag Eigentum der Treuhandanstalt geworden sei und bisher tun die Gerichte so, als würden sie das glauben, um den Staat vor berechtigten Ansprüchen zu schützen. Die Obrigkeit kann sich ja die Richter aussuchen und findet auch einen, der zur Rechtsbeugung bereit ist. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Treuhandanstalt und dem Urteil des Landgerichts Berlin hat jetzt das BADV, das Bundesamt zur Klärung von offenen Vermögensfragen, einen seit 1990 unbearbeiteten Antrag des Kulturbunds auf Restitution des Aufbau-Verlages zurückgewiesen, weil der seit dem Erwerb der Geschäftsanteile an der 1945 gegründeten Aufbau-Verlag GmbH durch den Kulturbund im Jahre 1946 fortlaufend dessen Eigentum geblieben war, bis er den Aufbau-Verlag im Jahre 1995 an mich persönlich verkauft und übertragen hat.

Seit vielen Jahren klagen Sie gegen die Treuhandanstalt. Warum?

Einige kriminelle Mitarbeiter dieser seit 1995 in BvS umbenannten Behörde, darunter der Vorstand Klintz, der Direktor Sinnecker und der Abteilungsleiter Molinari haben mich gezielt belogen und betrogen. Sie wussten vor dem Verkauf, dass der Verlag dem Kulturbund gehört und hätten wissen müssen, dass aus dem nicht vorhandenen Vermögen eines nicht existierenden VEB keine Kapitalgesellschaft entstehen kann. Die mir von der Treuhand verkaufte angebliche „Aufbau-Verlag GmbH i. A.“ war deshalb eine nicht existierende Scheingesellschaft. Was nicht existiert, das kann man logischerweise auch nicht „übertragen“. Die Erfüllung des Kaufvertrages ist daher von Anfang an objektiv unmöglich und der Vertrag ist deshalb nichtig. Weil die Treuhandanstalt dies wusste oder wissen musste, schuldet sie mir den Ersatz des vergeblichen Aufwands. Ich will also von der Treuhandanstalt nur mein Geld zurückhaben. Den Aufbau-Verlag habe ich ja erst Ende 1995 vom Kulturbund gekauft.

Die Vorgänge um den Verkauf des Aufbau-Verlages berühren auch die frühe PDS-Geschichte…

In der Umbruchszeit der Wende geriet der Verlag in Gefahr, weil er, wie gesagt, dem Kulturbund. gehörte. Dessen Präsident und Präsidialrat traten zurück. Die hohen staatlichen Subventionen gab es nicht mehr. Der Organisation drohte der Untergang. Deshalb hatte der damalige Verlagsleiter Elmar Faber schon am ersten Arbeitstag nach der Wende erklärt, dass die Verlage aufhören müssen, „Geldspender für Parteien und Massenorganisationen zu sein“. Dann hat er mit Klaus Höpcke, dem langjährigen stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der „Hauptverwaltung Verlage“, die vorgetäuschte Übergabe in Volkseigentum verabredet, die aber erst im Frühjahr 1990 stattfand. Der Verlag erhielt fast 10 Millionen aus Geldern der SED, wurde als Volkseigentum deklariert und sollte staatlich finanziert werden. Später gab sogar die Treuhandanstalt der nichtexistierenden GmbH i. A. mehr als 8 Millionen Kredit. Klaus Höpcke hat im Jahre 2018 die damaligen Umstände ausführlich in einer eidesstattlichen Versicherung geschildert. Die inhaltlich gleiche Erklärung hatte Dietmar Bartsch aber schon 1995 abgegeben. Alle diese Beweise hat die Justiz gezielt übergangen. Vor deutschen Gerichten hat ja die Linke keine Rechte.

Ihr Buchttitel klingt da weniger versöhnlich. Von einer „kriminelle(n) Vereinigung in der SED“ ist dort die Rede. 

Die SED hat beim Kauf von Lizenzen aus westlichen Verlagen seit Mitte der Sechzigerjahre vom Aufbau-Verlag verlangt, mehr Bücher zu drucken als vereinbart wurde. Übrigens auch von Volk & Welt und anderen. Man druckte heimlich jeweils 10.000 oder 20.000 Exemplare mehr als „Plusauflage“, wie das intern genannt wurde. Die Lizenzgebühren daraus strich die Zentralkasse des ZK der SED ein. Pro Jahr war das etwa eine Million Mark der DDR. So etwas nennt man Betrug.

Eigentlich war das nett von der SED, jedenfalls gegenüber den Menschen in der DDR?

Das waren Raubdrucke. Man hätte auch den Ladenpreis senken und für die gleichen Lizenzgebühren mehr Bücher verbreiten können, dann wäre es legal gewesen. Es ging also nicht um Bücher, sondern um Geld. Darüber können wir noch lange diskutieren, aber Tatsache ist: Es war kriminell, auch in der DDR.

Wie kam das raus?

Die Kripo hat die Beweise dafür zufällig bei Ermittlungen zum Altvermögen der Partei im Büro von Dietmar Bartsch gefunden. Er war damals Schatzmeister der PDS und deshalb intern von den längst beendeten Raubdrucken informiert worden. Danach haben sich aber die genannten Mitarbeiter der Treuhandanstalt kriminell verhalten, weil sie mir die Plusauflagen beim Abschluss des Kaufvertrages verheimlicht haben. Ich erfuhr davon erst nachdem ich die angebliche Aufbau-Verlag GmbH i. A. gekauft hatte und die Kripo an meinem ersten Tag als Verleger die Lizenzakten beschlagnahmte. Die Treuhandanstalt tat so, als wäre auch sie von den staatsanwaltlichen Ermittlungen überrascht worden und lehnte jede Haftung für etwaige Schäden ab. Ich konnte leider damals noch nicht beweisen, dass sie schon vor Vertragsabschluss von den Plusauflagen informiert war und kannte auch noch nicht die Höhe des Schadens.

Was hat die Treuhand dazu gesagt?

Im Februar ‘92 haben wir im Verlag die Ansprüche der westlichen Verlage und Autoren mit 8,2 Millionen DM festgestellt. Daraufhin habe ich die Treuhandanstalt angerufen, Herrn Molinari, und ihm gesagt: „Wir haben ein Problem.“ – Daraufhin er: „Nein. Wir haben kein Problem. Sie haben ein Problem. Die Treuhandanstalt verkauft Chancen und Risiken, und Sie haben ein Risiko gekauft. Machen Sie den Laden zu.“ Das wäre denen am liebsten gewesen, dann wäre alles andere nie hochgekommen. Weil ich keine Beweise hatte, habe ich mich dann auf Kompromisse mit den Betrügern eingelassen.

Betrogen wurden auch andere…

Ja, der Kulturbund. Allein die Grundstücke des Verlages waren damals mehr als 35 Millionen DM wert. Die Treuhand hat sie von ihrer angeblichen Aufbau-Verlag GmbH i. A. für nur 8.2 Millionen DM gekauft und den Preis mit ihren Darlehen an diese nichtexistierende Gesellschaft verrechnet. Das Vermögen des Kulturbunds am Aufbau-Verlag war fast 40 Millionen DM wert. Bei 260.000 Mitgliedern macht das über 150 Mark pro Nase. Das war mehr als das Begrüßungsgeld. Eben dieses Vermögen hat die Treuhandanstalt den kulturinteressierten Mitgliedern des Kulturbunds weggenommen. Mit diesem Betrug an 260.000 Bürgern der DDR fing die deutsche Wiedervereinigung an.

In Ihrem Buch und bei jeder sich bietenden Gelegenheit bezeichnen Sie mehrere Mitarbeiter der Treuhandanstalt als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Gab es Reaktionen darauf?  

Nein. Keine Resonanz. Diese Gauner wissen, dass ich jederzeit den Wahrheitsbeweis für meine Behauptungen antreten kann. Schon 1998 hatte ich etwas Ähnliches in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gesagt. Daraufhin gab es eine Strafanzeige von der Treuhandanstalt beim Landgericht Düsseldorf. Der Dienstherr muss doch seine Mitarbeiter vor Beleidigungen schützen. Das Verfahren wurde eröffnet aber ich habe von meinen Anwälten – einer hieß übrigens Otto Schily – erklären lassen, dass ich den Wahrheitsbeweis erbringen werde und die Unterlagen vorgelegt.

Und dann?

Daraufhin wollten die Richter das Verfahren einstellen, was ich abgelehnt habe. Deshalb wurde die Strafanzeige zurückgezogen. Seitdem sage ich über die Treuhandanstalt was ich für richtig halte. Wenn es vor einem Strafgericht um die Wahrheitsfindung geht, kann ich auch noch auf weitere Beweise hindeuten. Der erste Satz in meinem Buch lautet: „Viele Akten der Treuhandanstalt sind noch geheim. Irgendwann werden sie allgemein zugänglich sein und belegen, dass alles noch viel schlimmer war.“

Das Landgericht Berlin hat Ihre Klage gegen die Treuhandanstalt abgewiesen.

Bei einer Klage vor den Zivilgerichten müssen Richter nicht selber die Wahrheit ermitteln. Sie bewerten nur die von den Parteien jeweils vorgetragenen Tatsachen und beweiskräftigen Dokumente. Da gibt es viele Möglichkeiten, „ungünstigen“ Tatsachenvortrag zu übergehen oder mal die Behauptung einer Partei angeblich zu „glauben“. Bei einem Streit zwischen privaten Parteien kommt Rechtsbeugung selten vor, da ist man gern „unabhängig“. Aber wenn der Staat von einem einzelnen Bürger verklagt wird, verteidigen manche Richter gezielt die fiskalischen und politischen Interessen der Obrigkeit. Den Kläger sehen sie nie wieder, aber mit der Obrigkeit haben sie jeden Tag zu tun. Das erklärt die Befangenheit solcher Richter und die Tatsache, dass die Bundesrepublik noch nie in einem Zivilprozess rechtskräftig zu Schadensersatz in Millionenhöhe verurteilt wurde. Ich selber habe damals den Fehler gemacht, der Treuhandanstalt zu vertrauen. Als ich das erkannte, machte ich noch einen größeren Fehler: ich vertraute auf die Unabhängigkeit der Justiz.

Was bedeutet das für den Rechtsstaat?

Der Rechtsstaat im Kapitalismus beruht auf der Eigentumsordnung. Das Urteil des Landrichters Dominik Reith ist deren Bankrotterklärung. Er hat die Klage abgewiesen, weil ich angeblich nicht „zweifelsfrei“ beweisen konnte, dass der Kulturbund sein unstreitig rechtmäßig erworbenes und allgemein anerkanntes Eigentum am Aufbau-Verlag NICHT an die SED oder das Volkseigentum übertragen hat. Die Treuhandanstalt musste ihren Eigentumserwerb nicht und schon gar nicht „zweifelsfrei“ beweisen. Nach diesem Urteil könnte z. B. jedermann ungestraft urheberrechtlich geschützte Werke nutzen, bis der Rechteinhaber „zweifelsfrei“ nachweist, dass er die Verwertungsrechte daran NICHT übertragen hat. So etwas wie „Plusauflagen“ gäbe es danach gar nicht, denn die damals geschädigten Verlage müssten ja „zweifelsfrei“ beweisen, dass sie den „Plusauflagen“ NICHT zugestimmt haben. Das könnte ja auch nachts auf dem Hof durch Kopfnicken geschehen sein.

Aber muss nicht jeder seine Behauptungen vor Gericht beweisen?

Aber ja. Nach ständiger Rechtsprechung gilt der Grundsatz, dass jede Partei die Umstände darzulegen und zu beweisen hat, aus denen sich die für sie positive Rechtsfolge ergibt. Der Kulturbund hat unstreitig seinen Erwerb des Aufbau-Verlags bewiesen. Aber die Treuhandanstalt kann einen angeblichen „Übertragungsakt“ dieses Eigentums an die SED oder in Volkseigentum nur behaupten, aber nicht beweisen, weil er tatsächlich nie erfolgt ist. Der Richter Dominik Reith behauptet in seinem Urteil trotzdem, dass der Verlag von der SED in Volkseigentum übertragen wurde, weil „der SED als herrschender Partei in einer Ein-Parteien-Diktatur“ dazu nicht die „Rechtsmacht“ gefehlt hätte, sogar noch im Frühjahr 1990. Das klingt nach dem Lied von der Partei, die immer Recht hat und das passt auf die SED und die Treuhandanstalt, und man fragt sich, was dann in der DDR überhaupt „rechtswidrig“ gewesen sein soll und deshalb nach der Wende korrigiert wurde.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Landrichter Dominik Reith hatte merkwürdiger Weise bei der Urteilsverkündung gesagt, „der Fall hat sehr viel Potential“ und mir die Berufung fast angeraten. Mein Vertrauen in die Berliner Justiz ist zwar auf einem Tiefpunkt und der „entscheidende“ Einfluss der Exekutive des Bundes auf solche Prozesse ist mir bekannt, aber trotzdem habe ich Berufung zum Kammergericht eingelegt. Ich hoffe, dass es in Deutschland Richter gibt, die sich auch bei einer Klage gegen den Staat an Gesetz und Recht halten.  

Warum sind Sie 2015 nach Los Angeles gezogen?

Ich habe schon seit 30 Jahren einen Wohnsitz in Los Angeles. In der Nazizeit war dieser Ort das Exil vieler Autoren, z. B. Lion Feuchtwanger, Thomas und Heinrich Mann oder Bertholt Brecht, deren Bücher später der Aufbau-Verlag veröffentlicht hat. Ich fühle mich wohl in dieser Umgebung. Ich weiß, dass es auf der Welt sehr viel größere Ungerechtigkeiten gibt als das Verhalten der deutschen Justiz in dem Streit um den Aufbau-Verlag. In Russland oder Saudi-Arabien hätte ich diese Prozesse nicht geführt, denn ich wäre irgendwann aus dem Fester gefallen oder durch den Fleischwolf gedreht worden. Die falschen Urteile zum Aufbau-Verlag sind dagegen nur Rechtsbeugung. In der Bibel steht im 7. Kapitel Matthäus „wie ihr über andere urteilt, werdet auch ihr einst beurteilt, und das Maß, mit dem ihr bei anderen messt, wird auch an euch angelegt werden“.

Vielen Dank für das Gespräch.

Im Kasten:

Bernd F. Lunkewitz, Jahrgang 47, hatte an der linken Studentenbewegung der 60ger Jahre teilgenommen, aber seit den 70ger Jahren im kapitalistischen Immobiliengeschäft viel Geld verdient. Wieviel er davon nach der Wiedervereinigung mit dem Kauf des Aufbau-Verlages verloren hat, dessen Verleger er bis 2008 war und den es ohne ihn heute nicht geben würde, darüber schreibt er in seinem aktuellen Buch „Der Aufbauverlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt“ (Europa-Verlag, 383 Seiten, 14 Euro). Seit Jahren dokumentiert er den Streit um den Aufbau-Verlag auf der Website www.prozessbeobachter.net. Lunkewitz lebt heute in Kalifornien. Das Interview fand über Zoom statt.

 

Das Palladium des sittlichen Staats: Das Eigentum

Als im Jahre 1990 die Treuhandanstalt behauptete, dass der Aufbau-Verlag volkseigen gewesen und in eine ihrer GmbH i. A. umgewandelt worden sei, wies der Kulturbund auf sein fortbestehendes Eigentum am Aufbau-Verlag hin und stellte am 11.10.1990 nur vorsorglich einen Rückgabeantrag, der bis heute nicht beschieden ist.

Im Jahre 1991 verkaufte die Treuhandanstalt die angeblichen Geschäftsanteile an einer angeblichen Aufbau-Verlag GmbH i. A. an die BFL-Beteiligungsgesellschaft mbH und ihre Partner. Sie bestärkte wegen des Rückgabeantrags den Kulturbund in dem Irrtum, er sei in der DDR – rechtswidrig – enteignet worden, obwohl sie wußte, dass der Verlag bis zur Wende als organisationseigener Betrieb des Kulturbunds vom Ministerium für Kultur verwaltet wurde. Wenig später erkannte die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR das Scheitern der Privatisierung weil der Kulturbund noch immer Eigentümer des Aufbau-Verlages war und empfahl der Treuhandanstalt, diese Tatsachen offenzulegen und den gescheiterten Verkauf möglichst zu heilen.

Weil damit erhebliche finanziellen Risiken verbunden waren (Schadensersatzansprüche der Käufer und des Kulturbunds), entschloss sich die Treuhandanstalt, diese Umstände zu verschweigen. 

Als die Käufer im Herbst 1994 die Erfüllung des Kaufvertrages bezweifelten, bestritt die Treuhandanstalt wider besseres Wissen, dass der Kulturbund noch immer Eigentümer des Aufbau-Verlages war. 

In den folgenden Prozessen vor dem Verwaltungsgericht Berlin und den Zivilgerichten in Frankfurt trug sie gezielt wahrheitswidrig vor, fälschte Dokumente, verabredete falsche Aussagen von Behördenmitarbeitern und Gutachtern.

Um ihre Verurteilung durch das Verwaltungsgericht Berlin zu vermeiden, erklärte sie, dass ihre (nach dem PartG DDR gesetzlich erforderliche) Zustimmung zum Verkauf des organisationseigenen Aufbau-Verlages des Kulturbunds nicht notwendig sei. Dadurch wurde der Verkauf des Verlages durch den Kulturbund im Dezember 1995 an den Verleger Bernd F. Lunkewitz wirksam. Der BGH entschied im Jahre 2008, dass der Kulturbund bis zu diesem Verkauf der Eigentümer des Aufbau-Verlages geblieben war.

Die Treuhandanstalt weigerte sich, die Verantwortung für die daraus folgende Insolvenz der Aufbau-Verlag GmbH zu übernehmen und lehnte jegliche Ansprüche auf Schadensersatz ab. 

Das bisherige Verhalten der Justiz belohnte das prozessbetrügerische Vorgehen der staatlichen Behörde. Die  für Klagen gegen den Staat sonderzuständigen Gerichte in Berlin und Frankfurt entschieden in den Verfahren der insolventen Aufbau-Verlag GmbH und des Verlegers Bernd F. Lunkewitz als Rechtsnachfolger des Kulturbunds, in dem es um die Ansprüche der Geschädigten auf Ersatz des Schadens ging, dass die Kläger jeweils das fortbestehende Eigentum des Kulturbunds am Aufbau-Verlag zu beweisen hatten. Die Treuhandanstalt musste ihren nur behaupteten Eigentumserwerb nicht beweisen. Weil die Kläger angeblich nicht „zweifelsfrei“ beweisen konnten, dass der Kulturbund sein in der DDR anerkanntes Eigentum nicht irgendwie, irgendwann an irgendwen verloren haben könnte, wurden die Klagen abgewiesen.

Das Palladium des sittlichen Staats, das Eigentum, ist in diesen Urteilen nur noch eine Schimäre. Jeder Dieb kann nun behaupten, das Eigentum an einer Beute erlangt zu haben, denn der vorherige Eigentümer müsse „zweifelsfrei“ beweisen, dass er dieses Eigentum nicht irgendwann, irgendwie an irgendwen – z. B. den Dieb – verloren hat.

In dem seit 2009 anhängigen Prozess der BFL-Beteiligungsgesellschaft gegen die Treuhandanstalt/BvS wegen der gescheiterten Privatisierung des Aufbau-Verlages trägt die Bundesregierung unverdrossen vor, der Aufbau-Verlag sei Eigentum der Treuhandanstalt geworden und von ihr wirksam an die Klägerin verkauft und übertragen worden. 

In dem Verwaltungsverfahren des Kulturbunds zur Rückgabe des Aufbau-Verlages trägt die Bundesregierung gleichzeitig das Gegenteil dieser Behauptung vor. Hier das Schreiben:

BADV

Nach mehr als dreißig Jahren, am 30.4.2021, teilte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) dem Kulturbund mit, dass der Aufbau-Verlag Eigentum des Kulturbundes der DDR war und daher zum Zeitpunkt seines Verkaufs an den Verleger Bernd Lunkewitz im Jahr 1995 im Eigentum des Kulturbunds e. V. stand.“

Die für DDR Eigentumszuordnungen allein zuständige Bundesoberbehörde bitte deshalb um Mitteilung, ob der Antrag vom 11.10.1990 zurückgenommen wird. Andernfalls werde der Antrag wegen des damals bestehenden Eigentums des Kulturbunds am Aufbau-Verlag abgelehnt.

Die BvS (in Abwicklung) untersteht dem Bundesministerium der Finanzen. Das BADV untersteht dem Bundesministerium des Inneren. Beide Ministerien stritten jahrelang, welcher Behörde der Erlös aus dem (nichtigen) Verkauf des Aufbau-Verlages zustehen soll. In den Prozessen der Käufer gegen die BvS zur Feststellung von deren Pflicht zum Schadensersatz behauptet die Regierung der Bundesrepublik: der Aufbau-Verlag war Eigentum der Treuhandanstalt. In dem Verwaltungsverfahren des Kulturbunds bestätigt sie: der Aufbau-Verlag war Eigentum des Kulturbunds.

 

Das Ei der Nachtigall

Im Januar 2015 schrieb ich auf dieser Website den Beitrag „Nachtigall, ick hör dir trappsen“ in dem ich auf die Befangenheit der Gerichte bei Rechtsstreitigkeiten gegen den Staat hinwies. Diese Vermutung hat sich bestätigt: Die Bundesrepublik gleicht einer Bananenrepublik, in der die Justiz im Streit mit Bürgern das Recht im Interesse der Exekutive beugt bis es bricht. Die als „Nachtigall“ bezeichnete korrupte Justiz hat jetzt ihr Ei gelegt.

Hier ein Abdruck des Kapitels „Nachtigall, ick hör dir trappsen“ aus dem Buch „Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung“:

„Nachtigall ick hör dir trappsen

In meiner langen Berufskarriere habe ich für mich persönlich und für meine Unternehmen mehrere tausend Verträge abgeschlossen. Nur eine Handvoll führten zu einem Rechtsstreit. Ich verlor keinen davon. Der Grund für die Erfüllung der Verträge war, dass ich vertrauenswürdige Vertragspartner ausgesucht und mich dabei nur selten getäuscht hatte.
Als ich im wieder vereinigten Deutschland mit der Treuhandanstalt die Kaufverträge über den Aufbau-Verlag abschloss, handelte ich ebenfalls guten Glaubens. Ich hatte an der Vertrauenswürdigkeit und dem Anstand des Vertragspartners Treuhandanstalt keine Zweifel. Der Staat selbst war der Verkäufer und es ging um die Einheit Deutschlands, um den Aufbau der neuen Bundesländer und um die Bewahrung der trotz widriger politischer Umstände in diesem Teil unseres Landes geschaffenen kulturellen Werte. Das Ziel dieser Privatisierung war die Erhaltung der kulturellen Institution Aufbau-Verlag, der in vier Jahrzehnten bedeutende Werke der deutschen Literatur publiziert hatte. Irgendeine Arglist oder Böswilligkeit der Vertreter einer öffentlich-rechtlichen Bundesanstalt hätte ich mir in diesem Zusammenhang noch nicht einmal vorstellen können. Ich schloss diese Verträge im vollen Vertrauen auf die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit ihrer Vorgaben.
Das war bis dahin der größte Fehler in meiner beruflichen Karriere. Als ich das erkannt hatte, machte ich einen noch größeren Fehler: ich vertraute auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz, auch bei einer Klage gegen den Staat.
Die weitaus meisten Richter und Richterinnen in Deutschland führen ihr Amt unparteiisch und entscheiden mit großer Sorgfalt und ohne Ansehung der Personen nach Recht und Gesetz. Die große Zahl der Verfahren führt trotzdem manchmal zu Fehlern und Irrtümern, die auch nicht immer von einer höheren Instanz korrigiert werden. Aber Rechtsbeugung ist das nicht, denn es fehlt schon am Vorsatz und dem persönlichen Motiv, das den Dorfrichter Adam zum Täter machte. Aber in politischen Fällen – jeder Prozess gegen den Staat ist ein politischer Fall – ist der Servilismus einiger Richter, die der Obrigkeit gefallen oder ihre Dankbarkeit für das verliehene Amt beweisen wollen, ihr Motiv für die Bereitschaft zur Rechtsbeugung und genau deshalb versetzt sie ihr Dienstherr in die für solche Fälle zuständigen Spruchkörper. Dagegen, schrieb der edle Ritter von Jhering, gibt es keinen Schutz.
Nur in den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist ein Recht des Klägers auf Einsicht in die Akten der verklagten Behörden vorgesehen, um die überwältigende Macht des Staates wenigstens teilweise auszugleichen. In einem Zivilprozess aber müssen die streitenden Parteien selbst alle für die Entscheidung des Gerichts relevanten Tatsachen, Dokumente und Beweise in eigener Verantwortung vortragen. Auf der Grundlage des so ermittelten Sachverhalts entscheidet das Gericht. („Da mihi factum, dabo tibi jus“ ).
Im Offizialbetrieb der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, z. B. zur Klärung von Rechtsfragen zu Eintragungen im Handelsregister nach dem FamFG , gilt dagegen der Untersuchungsgrundsatz (Inquisition), da es hier um Rechtsgüter von allgemeinem Interesse geht, z. B. um den öffentlichen Glauben an die Wahrheit und Rechtmäßigkeit der Eintragungen in das Handelsregister. Solche Verfahren werden unabhängig von den Anträgen eventuell Beteiligter von Amts wegen geführt.
Das Gericht ist gesetzlich verpflichtet, den Sachverhalt, der seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden soll, vollständig und wahrheitsgetreu zu ermitteln und sodann die gesetzlich erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.
Die Behandlung der Handelsregistereintragungen zum Aufbau-Verlag beim Amtsgericht Charlottenburg in dem Amtsermittlungsverfahren 22 W 73/14 durch den 22. Senat des Kammergerichts und dessen Beschluss vom 12.6.2020 zeigt jedoch exemplarisch den ungesetzlichen, aber „entscheidenden“ Einfluss der Exekutive des Bundes auf das Verhalten der Berliner Justiz, sobald politische oder fiskalische Interessen des Staates berührt werden.
Nach den ab dem Jahr 2006 ergangenen Urteilen des Landgerichts und des Oberlandgerichts in Frankfurt am Main in den Prozessen zwischen den drei möglichen Eigentümern des Aufbau-Verlages und den dazu ergangenen Beschlüssen des BGH , wonach der Aufbau-Verlag im Jahre 1955 durch Eintragung in das Register der volkseigenen Wirtschaft in einen organisationseigenen Betrieb des Kulturbunds umgewandelt worden und bis zum Verkauf des Verlags am 21.12.1995 dessen Eigentum geblieben war, beantragte ich am 26.10.2010 beim zuständigen AG Charlottenburg die Löschung des Umwandlungsvermerks, der im Handelsregister den Aufbau Verlag fälschlich als eine GmbH i. A. der Treuhandanstalt bezeichnet. Die Unrichtigkeit der Eintragung „Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Aufbau, entstanden nach dem Treuhandgesetz durch Umwandlung des Aufbau-Verlag Berlin und Weimar“ ergibt sich schon daraus, dass der Verlag nicht als VEB bezeichnet wird. Die volkseigenen Betriebe waren gesetzlich verpflichtet, die Bezeichnung VEB als Bestandteil ihres Namens zu führen. Da der Aufbau-Verlag seit seiner Gründung nie so bezeichnet worden und dementsprechend auch nie im Handelsregister als VEB eingetragen war, ergab sich schon daraus zweifelsfrei, dass es sich um einen organisationseigenen Betrieb handelte, der nicht nach dem Treuhandgesetz umgewandelt werden konnte.
In der Rechtsprechung ist längst allgemein anerkannt, dass durch das Treuhandgesetz das Eigentum der gesellschaftlichen Organisationen der DDR nicht beeinträchtigt wurde.
Das Amtsgericht lehnte am 4.10.2011 den wiederholten Antrag auf Löschung dieser unzulässigen Eintragung zunächst ab. (Der Kulturbund hatte vergeblich schon im Jahre 1990 dieser Eintragung widersprochen. Ich hatte dann im Jahre 1995 einen Löschungsantrag gestellt, der gegen den Widerspruch der Treuhandanstalt/BVS vom Amtsgericht bestätigt, dann aber vom Landgericht und in 2001 vom Kammergericht zurückgewiesen wurde.)
Die Beteiligten des Verfahrens legten am 28.10.2011 gegen den abweisenden Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg Beschwerde zum Kammergericht ein. Dort war der 12. Senat mit der Vorsitzenden Richterin Susanna Hollweg-Stapenhorst, die Richterin Zillmann und dem Richter Dr. Peter Sdorra zuständig. Nach mehr als zwei Jahren Amtsermittlung rief im November 2013 der Berichterstatter des 12. Senats, Herr Dr. Sdorra, bei dem von den Antragstellern mandatierten Rechtsanwalt Schrader an und schlug die Rücknahme des Antrags wegen Aussichtslosigkeit vor. Die Antragssteller lehnten das ab und tatsächlich erwies sich der Vorschlag des Herrn Dr. Sdorra als Täuschungsmanöver.
Am 16.12.2013 verfügte der 12. Senat des Kammergerichts durch den Beschluss 12 W 32/12 die Löschung des unzulässigen Umwandlungsvermerks. Er begründete diese Entscheidung ausführlich anhand der vorliegenden Registerakten, der von den Antragsstellern vorgelegten Urkunden und der unstreitigen Tatsachen, auch unter Berücksichtigung des von der Treuhandanstalt/BVS in den o.g. Zivilverfahren gegen die anderen Beteiligten erbrachten Vortrags. Aufgrund des Verhaltens von Dr. Sdorra ist anzunehmen, dass der Beschluss kontrovers beraten und schließlich mehrheitlich entschieden wurde.
Das Amtsgericht Charlottenburg kündigte am 8.1.2014 die Löschung der Eintragung an. Die Treuhandanstalt/BVS legte dagegen Widerspruch ein mit der Behauptung, dass nicht alle relevanten Tatsachen und Dokumente dem 12. Senat vorgelegen hätten. Die weiteren Beteiligten legten aus den gerichtlichen Akten detailliert dar, dass dieser Einwand falsch war. Vorsorglich belegten sie im Schriftsatz vom 22.5.2014 die chronologische Entwicklung des Eigentums am Aufbau-Verlag unter Vorlage aller einschlägigen Urkunden, und wiesen nach, dass alle relevanten Tatsachen dem 12. Senat vorgelegen hatten. Das Amtsgericht wies unter Hinweis auf die gesetzliche Bindungswirkung der Entscheidung des 12. Senats am 24.7.2014 den Widerspruch der Treuhandanstalt/BVS zurück und erklärte nach eigener Prüfung:
„Eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung der vorgenannten Entscheidung liegt nicht vor, weil keine neuen Tatsachen vorliegen, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen […] alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Entscheidungen lagen dem Beschwerdegericht vor“.
Die Treuhandanstalt/BVS legte Beschwerde gegen diesen Beschluss ein und erhielt als Beteiligte vom 12. Senat zur Gewährung des rechtlichen Gehörs die Gelegenheit zum Vorbringen bisher in dem Verfahren etwa noch nicht berücksichtigter neuer Tatsachen, da nur solche den auch das Gericht selbst bindenden Beschluss allein noch beeinflussen konnten.
Die Treuhandanstalt/BVS trug aber keine neuen Tatsachen vor. Stattdessen geschah folgendes: Das Amtsermittlungsverfahren wurde im Geschäftsverteilungsplan des Kammergerichts durch eine rückwirkende Veränderung der Zuständigkeiten zum 1. 1. 2015 vom 12. Senat an den 22. Senat des Kammergerichts abgegeben.
Ich schrieb darüber im Januar 2015 für die Website Prozessbeobachter.net einen Kommentar mit der Überschrift: „Nachtigall, ick hör dir trapsen“:
„Andere Richter werden sich jetzt mit dem Fall befassen. Rechtlich ist auf Grund gesetzlicher Bindungswirkung das Kammergericht an die Entscheidung des 12. Senats vom Dezember 2013 gebunden. Aber zu entscheiden ist der Streit zwischen einem Einzelnen und dem Staat. Man kann jetzt Wetten auf die Unabhängigkeit der Justiz in der BRD abschließen. Die englischen Buchmacher, bekannt für ihre realistische Einschätzung, würden solche Wetten wohl nicht annehmen. Oder, wie der Berliner sagt: „Nachtigall, ick hör dir trapsen“ .
Diese Redewendung hat ihre literarischen Quellen in der deutschen Romantik. Die beiden ersten Verse des Lieds „Die Nachtigall“ aus der Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim beginnen mit den Worten
„Nachtigall, ich hör dich singen“ […] und „Nachtigall, ich seh dich laufen, aus dem Bächlein thust du saufen […]“.
Der Volksmund verband dieses Lied mit dem Anfang des ebenso lustigen Gedichts von Clemens Brentano:
„Trippel, trippel, trap, trap, trap / heut schließ ich die Tür nicht ab […]
in dem ein „Mädel“ darum bittet, zur heimlichen Liebesnacht sehr vorsichtig und leise herbei zu schleichen und dabei nicht den Hund, die Mutter, den Bruder, den Knecht und die Magd zu wecken.
Wenn der gemeine Berliner misstrauisch wird, weil er merkt, dass ein paar als ehrbar getarnte Betrüger ihn täuschen und belügen, zitiert er gern – so wie ich in meinem Kommentar – die „trapsende Nachtigall“, was in diesem Fall besonders gut passt, denn in der nächsten Zeile des Lieds folgt die Bitte: „komme du und sag mir wohl, / wie ich mich verhalten soll, / wie, wie ich mich verhalten soll“, woraufhin die „trapsende Nachtigall“, aka Treuhandanstalt/BVS, den Richtern des 22. Senats sagte: erfindet irgendeinen Grund, den Beschluss des 12. Senats aufzuheben.
Aber nicht nur die Zuständigkeit ging mit Wirkung vom 1.1.2015 vom 12. Senat auf den 22. Senat über. Gleichzeitig wurde Herr Dr. Sdorra aus dem 12. Senat an den 22. Senat versetzt und war dort wieder der Berichterstatter für diesen Fall.
Die trapsende Nachtigall behauptete mit Schriftsatz vom 7.1.2015, dem Tag der Abgabe des Verfahrens an den 22. Senat, dass die Verwaltungsvereinbarung vom 13.12.1963, das Statut des Aufbau-Verlages vom 10.1.1961 und das Abkommen vom 27.2.1964 dem 12. Senat nicht vorgelegen hätten. Die Beschwerdegegner widerlegten diese Behauptung durch den eindeutigen Nachweis in den Akten und bekräftigten auch in den nachfolgenden Jahren durch neu aufgefundene Dokumente (z. B. die 1984 angelegte Verlagskartei des Justiziariats im Ministerium für Kultur) oder neue Tatsachen (z. B. die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung vom 15.10.2018 durch Herrn Klaus Höpcke ) das fortbestehende Eigentum des Kulturbunds am Aufbau-Verlag und wiesen auf die lange Verfahrensdauer hin.
Die Beschwerdegegner rügten am 25.1.2019 nochmals die lange Verfahrensdauer, da seit der bindenden Entscheidung des 12. Senats inzwischen fünf Jahre ohne erkennbaren Fortschritt verstrichen waren und keine neuen Tatsachen vorlagen, die dem Beschluss des 12. Senats widersprachen. Am 3.4.2019 stellten sie schließlich gegen die mit dem Verfahren befassten Richter des 22. Senats den Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit und begründeten dies mit deren Untätigkeit.
Herr Dr. Sdorra, der mit der Hälfte eines Richterpensum zur Schwerbehindertenvertretung freigestellt ist, meldete sich umgehend „längerfristig krank“ und konnte angeblich deshalb zu dem Vorwurf der Untätigkeit keine dienstliche Erklärung abgeben. Der Vorsitzende Richter Dr. Müther erklärte sich am 6.6.2019 für nicht befangen. Für die Bearbeitung der Sache sei Dr. Sdorra zuständig gewesen. Ihm selbst hätten die Akten seit dem 1.1.2015 bis zum 4.4.2019, dem Eingang des Befangenheitsgesuchs, nur einmal vorgelegen, nämlich am 29.4.2015 wegen einer Sachstandsanfrage des AG Charlottenburg. Der Befangenheitsantrag wurde zurückgewiesen, die Richter des 22. Senats blieben weiter zuständig.
Der Senat führte am 29.7.2019 eine Vorberatung durch und erteilte am 1.8.2019 einen gerichtlichen Hinweis zur Sache, der erkennen ließ, dass die daran beteiligten Richter längst bekannte und entscheidungserhebliche Umstände und Tatsachen, insbesondere die gesamten Ausführungen aus dem grundlegenden Schriftsatz vom 22.5.2014, nicht erkannt und berücksichtigt hatten. Das vertiefte bei den Beschwerdegegnern die seit längerem bestehende Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem erkennenden Senat.
Daraufhin beantragte der Anwalt der Beschwerdegegner die Einsicht in die Gerichtsakten und stellte fest, dass darin die vom Vorsitzenden Richter Dr. Müther am 1.8.2019 erlassene Verfügung in zwei Fassungen vorlag. Die bisher unbekannte Fassung enthielt den folgenden zusätzlichen Passus:
„Herr Rechtsanwalt Schrader wird gebeten, seinen Schriftsatz vom 22. Mai 2014 mit Anlagen (nochmals) einzureichen. Dieser ist in den Registerordner(n) nicht zu finden. Er ist offenbar nicht eingescannt worden und demgemäß auch hier für die Akten nicht ausgedruckt worden.“
Der Senat hatte schließlich festgestellt, dass der Schriftsatz vom 22.5.2014 von den Beschwerdegegnern zwar am 23.5.2014 eingereicht worden, aber nicht in der ihm seit fünf Jahren vorliegenden Verfahrensakte war. Das Gericht hatte den zentralen Vortrag der Beschwerdegegner nicht zur Kenntnis genommen, auch nicht bei der Vorberatung am 29.7.2019, obwohl er physisch im Gericht vorhanden war. Erst am nächsten Tag wurde der Schriftsatz schließlich aufgefunden. In der Verfügung vom 1.8.2020 wurde daraufhin die Aufforderung zur erneuten Abgabe des Schriftsatzes vom 22.2.2014 gestrichen, aber das Ergebnis der Vorberatung, die ohne dessen Berücksichtigung erfolgt war, unverändert herausgegeben. Offensichtlich hielt der Senat den zentralen Vortrag der Beschwerdegegner für nicht erwägenswert.
Bei der Akteneinsicht wurde weiter festgestellt, dass ein umfangreicher Schriftsatz der bekannten BVS/Nachtigall vom 11.1.2019, den Beschwerdegegnern nie zugestellt worden war. Die Beschwerdegegner richteten wegen dieser unzulässigen Verfahrensführung eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Präsidenten des Kammergerichts, baten um die Bestätigung der Vollständigkeit der Akten und stellten am 21.8.2019 erneut einen Befangenheitsantrag gegen die beteiligten Richter des 22. Senats, allerdings ebenfalls ohne Erfolg.
Kurz danach verließ Herr Dr. Sdorra, der wie alle Richter nicht gegen seinen Willen versetzt werden darf, den 22. Senat, wodurch der Befangenheitsantrag gegen ihn erledigt war. Den Antrag gegen den Vorsitzenden Dr. Müther und die anderen beteiligten Richter wurde abgewiesen. Danach übernahm der Vorsitzende ab dem 2.3.2020 selbst die Berichterstattung und in noch nicht mal drei Monaten erledigte er, was sich Dr. Sdorra in fünf Jahren nicht getraut hatte.
Der Antrag auf Löschung der Eintragung „Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Aufbau, entstanden nach dem Treuhandgesetz durch Umwandlung des Aufbau-Verlag Berlin und Weimar“ wurde am 13.5.2020 zurückgewiesen und das Verfahren eingestellt.
Der Beschluss des 22. Senats vermeidet zwar bewusst die unhaltbare eigene Feststellung, dass der Aufbau-Verlag volksseigen gewesen sei und behauptet unter Verweis auf bruchstückhaft und zusammenhanglos herausgegriffene Umstände und Äußerungen von Dritten nur angebliche Zweifel, mit denen der Senat sich über den Vortrag der Beschwerdegegner hinwegsetzt. Angebliche Zweifel statt neuer relevanter Tatsachen, sind aber kein ausreichender Grund, die bindende Entscheidung des 12. Senats aufzuheben.
Angesichts des § 339 StGB (Rechtsbeugung) erschien den Richtern die Erfindung irgendwelcher Zweifel vorsichtiger als die Erfindung neuer Tatsachen, die leicht widerlegt werden können. Die schon vom 12. Senat festgestellten Tatsachen wurden deshalb von ihnen anders „bewertet“. Diese andere Bewertung wurde zum Vorwand ihrer willkürlichen Entscheidung, den Beschluss des 12. Senats aufzuheben. Dieses Verhalten ist angesichts der Bindungswirkung dieser Entscheidung an dem Beschluss des BGH aus dem Jahre 2007 im Prozess um die Eigentumsverhältnisse am Aufbau-Verlag zu messen, mit dem er die Zurückweisung der Rechtsmittel der Treuhandanstalt/BVS begründet: die Sache „ist richtig entschieden […] Die Angriffe der Revisionsführer laufen im Ergebnis darauf hinaus, dass sie diese rechtlich einwandfreie tatrichterliche Würdigung nicht gelten lassen, sondern sie – unzulässigerweise – durch ihre eigene Bewertung ersetzen wollen.“ Das Kammergericht setzt sich über diese Entscheidung genauso hinweg, wie über die nachfolgenden Entscheidungen des BGH vom 27.9.2010 und vom 12.7.2011.
Die „eigene Bewertung“ der bereits vom 12. Senat bewerteten Tatsachen und Dokumente bewirkte auch die Verfälschung des längst vom 12. Senat akribisch ermittelten Sachverhalts: Im Beschluss des 22. Senats wird u. a. fälschlich behauptet, ich hätte die – nichtexistierenden – Geschäftsanteile persönlich von der Treuhandanstalt „erworben“ und anschließend an die Beschwerdegegner weiterveräußert. Den Beschwerdegegnern wird unterstellt, sie hätten in dem Verfahren das Weiterbestehen der „Aufbau-Verlag GmbH (alt)“ behauptet und den in HRC eingetragenen organisationseigenen Betrieb des Kulturbunds als Scheingesellschaft bezeichnet, was dann lang und breit widerlegt wird. Das OLG Frankfurt hat dagegen in den genannten Zivilverfahren (u. a. in II ZR 213/06 vom BGH bestätigt) entschieden, dass die „Aufbau-Verlag GmbH (alt)“ im Jahre 1955 durch die Umwandlung des Verlages in einen organisationseigenen Betrieb des Kulturbunds untergegangen und die 1990 eingetragene vermeintliche „Aufbau-Verlag GmbH im Aufbau“ eine Scheingesellschaft gewesen ist.

Unter Bezug auf die – bereits vom 12. Senat umfassend geprüften – Registerakten wird als entscheidungserheblich darauf hingewiesen, dass die nach Ermächtigung des Präsidenten des Kulturbunds beantragte Eintragung des Aufbau-Verlages als organisationseigener Betrieb des Kulturbunds in das Register der volkseigenen Wirtschaft nicht auf Anordnung der Abteilung Justiz, sondern – wie bei allen anderen organisationseigenen Betrieben, auch denen der SED, von dem dieser Behörde vorgesetzten Sekretär des Magistrats von Groß-Berlin, Abteilung Finanzen (staatliches Eigentum) – unter Hinweis auf die Rechtsgrundlage – erfolgt sei. Besonders wird hervorgehoben, dass sich auf dem Deckel der Registerakte – die auch dem 12. Senat vorgelegen hatte – die Aufschrift „Volkseigentum“ steht (was dadurch erklärbar ist, dass es sich um das Register der volkseigenen Wirtschaft handelt) und der Verlag als Träger von Volkseigentum ausgewiesen wird. Der Kulturbund sei auch nie als übergeordnetes Organ im HRC eingetragen gewesen (Auch die SED war dort für ihre vom Druckerei- und Verlagskontor bzw. später von der HV Verlage und Buchhandel verwalteten Betriebe nie eingetragen). Außerdem habe der Kulturbund im Jahre 1990 – wie aus den Registerakten ersichtlich – selbst vortragen lassen, dass die Eintragung in das HRC zur Entstehung von Volkseigentum am Aufbau-Verlag geführt hatte .

Schon meine auf den Seiten 114 bis 120 dieses Buches enthaltene kurze Darlegung des Ablaufs der Registereintragungen lässt jeden objektiven Betrachter erkennen, dass die Ausführungen des 22. Senats gezielt falsch und abwegig sind. Da alle vom DKV verwalteten organisationseigenen Verlage auf diese Weise umgewandelt wurden, unterstellt der 22. Senat, dass sich die alleinherrschende SED ebenso wie der Kulturbund, der FDGB und andere Organisationen hinsichtlich ihrer im HRC eingetragenen Verlage selbst enteignet hätten . Die Beschwerdegegner haben zu den umfangreichen Registerakten und den dortigen Eintragungen, nach denen z. B. der 1. Bundessekretär des Kulturbunds, Karl Kneschke , als Geschäftsführer des Verlages auch in das Register C eingetragen wurde, und zu der Rechtsträgerschaft an den Grundstücken des Verlages sehr detailliert und mit zahlreichen Dokumenten unterlegt vorgetragen. Die gezielte Übergehung dieses Vortrags ändert nichts an dessen Relevanz, sondern macht die vorsätzliche Rechtsbeugung anhand der substanzlosen Behauptungen des 22. Senats offensichtlich.

Der 12. Senat hatte den Sachverhalt anhand der vorliegenden Akten erschöpfend ermittelt und die relevanten Dokumente geprüft und seiner – auch den 22. Senat bindenden – Entscheidung zugrunde gelegt. Neue Tatsachen oder Dokumente, die dieser Entscheidung widersprachen, lagen dem 22. Senat nicht vor. Dessen Behauptung, der Aufbau-Verlag sei möglicherweise – irrtümlich oder unbeabsichtigt oder sonst irgendwie – durch die Registereintragung in 1955 zu Volkseigentum geworden – ist angesichts der Akten- und Rechtslage eine freche Lüge, die sonst nur noch von der Treuhandanstalt/BVS als „Rechtsmeinung“ verhüllt in sämtlichen Zivilverfahren vorgetragen worden ist.

Bei der „neuen“ Bewertung der altbekannten Tatsachen hat der 22. Senat allerdings eine einzige wirklich neue und sehr „originelle“ Erwägung als zentralen Grund für seinen Beschluss angestellt:
„Schließlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Verlag jedenfalls Anfang 1990 in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt hat.“

Die Vorstellung, dass der Aufbau-Verlag „sich“ aus einer organisationseigenen Raupe in einen volkseigenen Schmetterling umgewandelt hat, dem Kulturbund davongeflogen ist und von der bekannten Nachtigall aufgepickt wurde, wäre zwar den Dichtern der Romanik nicht fremd, hat aber keinerlei gesetzliche Grundlage. Diese Behauptung ist stattdessen die von der bekannten Nachtigall/BVS geforderte freie Erfindung irgendeines Grundes, den Beschluss des 12. Senats aufzuheben.
Es wurden keine neuen Tatsachen vorgetragen oder Dokumente vorgelegt, außer solchen, mit denen die Beschwerdegegner das Eigentum des Kulturbunds am Aufbau-Verlag zweifelsfrei bestätigten. Unter Mißachtung der Bindungswirkung der Entscheidung des 12. Senat „beurteilten“ die Richter des 22. Senats contra legem die bereits seit Jahr und Tag aus den Akten des Handelsregisters und dem Vortrag der Beteiligten bekannten Tatsachen anders als der 12. Senat in dem bindenden Beschluss vom 16.12.2013.
Die Richter des 22. Senats unter dem Vorsitz von Dr. Müther kühlten ihr „Mütchen“ in dem sie am 13.5.2020 der Beschwerde der Treuhandanstalt/BVS stattgaben und das Amtsermittlungsverfahren einstellten.
Einen inhaltlich der falschen „Begründung“ dieses Beschlusses sehr ähnlichen Schriftsatz der Nachtigall/BVS vom 9.4.2020 stellte der 22. Senat den anderen Beteiligten erst gleichzeitig mit der Einstellungsverfügung zu.
Diese gezielte Verweigerung des rechtlichen Gehörs ist eine demonstrative Retourkutsche für den (allerdings gerechtfertigten) Vorwurf der Befangenheit dieser Richter.
Der rechtswidrige Umwandlungsvermerk im Handelsregister: „Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Aufbau, entstanden nach dem Treuhandgesetz durch Umwandlung des Aufbau-Verlag Berlin und Weimar“ bleibt deshalb bis auf Weiteres eingetragen und verkündet öffentlich die Unwahrheit, dass auch organisationseigene Betriebe durch das Treuhandgesetz in GmbH i. A. der Treuhandanstalt umgewandelt werden konnten.
Das Kammergericht ist für solche Fälle die höchste Instanz. Darüber ist nur noch der „blaue Himmel“ und der ist bekanntlich das Reich der Nachtigall.“

„Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt“

Buchbesprechung:

„Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt“.

(Die Geschichte des Aufbau-Verlages 1945 – 2020)

Konstantin Ulmer, Aufbau-Verlag, 2020

Der im August 1945 in Berlin vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet Aufbau-Verlag entwickelte sich zum bedeutendsten Literaturverlag der DDR. Er hat in den 75 Jahren seines Bestehens mehr als 15.000 Titel publiziert und damit die deutsche und internationale Literaturgeschichte mitgeprägt.

Der Autor dieser flüssig geschriebenen Verlagsgeschichte ist Konstantin Ulmer, ein ausgewiesener Kenner der deutschen Literaturszene. Er promovierte 2014 mit einer literatursoziologischen Arbeit über den Luchterhand-Verlag, der sich in den letzten Jahren der DDR zum wichtigsten Partner des Aufbau-Verlages im Westen entwickelt hatte.

Beginnend mit der gelungenen Verbindung der zurückgekehrten Autoren des Exils mit denen des Inneren Widerstands und der Berufung auf das Erbe der klassischen Weltliteratur, stellt er die wichtigsten Autoren und Verlagsmitarbeiter vor, die das Programm des Aufbau-Verlages in den folgenden Jahren und Jahrzehnten prägten und trotzt vieler Zugeständnisse an die politischen Machtverhältnisse in der DDR seine überragende literarische Bedeutung begründeten, die letztlich auch seine Renaissance nach der Wende überhaupt erst möglich machte.

Sein Anspruch, „die“ Geschichte des Aufbau-Verlages zu schreiben scheitert jedoch an dem Unvermögen, nicht nur die Folgen der politischen Ereignisse in der DDR für die Programmgestaltung, sondern auch die spezifischen juristischen, wirtschaftlichen und institutionellen Grundlagen und Bedingungen der Tätigkeit des Aufbau-Verlages darzustellen.

Die Gründung der Aufbau-Verlag GmbH 1945 und deren Erwerb durch den Kulturbund beschreibt er zutreffend, aber die Rahmenbedingungen der Verlagstätigkeit in der späteren DDR bleiben weitgehend unerklärt.

Die unbefristete Lizenzurkunde mit der Nummer 301, mit der nach Gründung der DDR das Amt für Literatur und Verlagswesen dem Kulturbund als alleinigem Eigentümer die „Genehmigung zur Ausübung der verlegerischen Tätigkeit … im Rahmen der Firma Aufbau-Verlag“ erteilte, bleibt unerwähnt, obwohl sie bis zur Abschaffung der Lizenz- und Druckgenehmigungspflicht die Bedingung für die Verlagstätigkeit war und pflichtgemäß in jedem Buch angegeben wurde.

Warum der Kulturbund ab 1951 den SED-eigenen Betrieb „Druckerei- und Verlagskontor“ mit der ökonomischen Anleitung und Verwaltung des Verlages beauftragte, erläutert er nicht, obwohl damit der Verlag den planwirtschaftliche Strukturen und der wirtschaftlichen Rechnungsführung der volkseigenen Betriebe angepasst wurde. Noch erstaunlicher ist, dass der Autor das zum 1.1.1961 vom Präsidialrat des Kulturbunds erlassene „Statut für den Aufbau-Verlag, Verlag des Deutschen Kulturbunds“ überhaupt nicht würdigt. Darin wurden die rechtliche, organisatorische und ökonomische Struktur des Verlages in der DDR, seine Arbeitsweise, die Zusammenarbeit mit den Autoren und die Aufgaben der Verlagsleitung verbindlich festgelegt. Dieses „grundlegende Dokument für die Verlagsarbeit“ (DKV) wurde im Februar 1964 anlässlich der vom Politbüro der SED verordneten Profilierung des Verlagswesens der DDR durch einen zwischen dem Ministerium für Kultur der DDR und dem Kulturbund geschlossenen Vertrag ergänzt, der die ökonomische und ideologische Verwaltung des Aufbau-Verlages der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel übertrug.

Im Jahre 1955 war die Aufbau-Verlag GmbH im Handelsregister B gelöscht und der Verlag als ein den volkseigenen Betrieben rechtlich gleichgestellter und rechtsfähiger „organisationseigener Betrieb“ des Kulturbunds im Handelsregister C eingetragen worden. Die Ausführungen von Konstantin Ulmer dazu, die GmbH sei „im Zuge der Umwandlung allerdings gar nicht aufgelöst worden. Aufbau blieb also eine GmbH des Kulturbunds“ sind falsch, wie der BGH zwischen 2008 und 2010 drei Mal entschieden hat.

Nach den auch von Konstantin Ulmer aufgezählten erstaunlichen Erfolgen in den ersten Jahren der Verlagstätigkeit, die den Aufbau-Verlag als unverzichtbare Institution in der deutschen Verlagslandschaft etablierten, scheiterte der legendäre Verlagsleiter Walter Janka in den fünfziger Jahren mit seinem Versuch, programmatisch und wirtschaftlich wenigstens „die Unteilbarkeit des deutschen Buchschaffens zu wahren“ und die vom Aufbau-Verlag verlegte zeitgenössische Literatur auf beiden Seiten der Grenze zu vertreiben. Diese Bemühungen waren nicht nur literarisch sondern auch ökonomisch motiviert. Walter Janka wollte auf diese Weise die für das Lizenzgeschäft mit dem Ausland notwendigen Devisen erwirtschaften. Konstantin Ulmer legt das Ende dieser Bemühungen in das Jahr 1955, aber tatsächlich plante Walter Janka, nachdem die SED eine Verlagsgründung abgelehnt hatte, die vom Ministerium schon genehmigte Gründung eines Buchvertriebs in Westdeutschland, als er im Dezember 1956 verhaftet und kurz danach in einem stalinistischen Schauprozess zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

Konstantin Ulmer erzählt von den Schwierigkeiten des Aufbau-Verlages, die Autoren aus dem Westen zu bezahlen und rückt Walter Janka in die Nähe der später üblichen Raubdrucke, die nach 1991 als „Plusauflagen“ berüchtigt wurden:

„Vereinzelt konnte Janka bei seinen Reisen ein paar tausend Westmark aus der DDR mitnehmen und an westdeutsche Empfänger auszahlen. Doch hinter den Kulissen arbeiteten die Kulturfunktionäre noch einen anderen Lösungsansatz aus: „Zwecks Einsparung von Devisen“ rechnete Aufbau einige Nachauflagen von Lizenzautoren einfach nicht ab. Der Zweck, die Leser in der DDR mit West-Texten zu versorgen, heiligte die Mittel. Von diesem fortgesetzten Betrug ahnten die Lizenzpartner viele Jahre nichts. Derweil nutzte Janka, mittlerweile ein gern gesehener Gast in der gediegenen Villa am Kilchberg, die persönliche Sympathie, um einen Vertrag über Klaus Manns umstrittenen Roman Mephisto abzuschließen…“

Ausgerechnet in diesem vom Aufbau-Verlag publizierten Buch zur eigenen Geschichte wird damit Walter Janka, einer der rechtschaffensten Menschen seiner Zeit, auf unredliche Weise als Betrüger beschrieben.

Ich habe mit Walter Janka, der keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit hatte, mehrmals über dieses Thema gesprochen und im Verlagsarchiv dazu recherchiert und bestreite diese Vorwürfe, denn schon wegen der auch für Nachauflagen in der DDR erforderlichen Druckgenehmigung hätte Walter Janka solche Praktiken sofort bemerkt und verhindert.

Wahr ist nur, dass wegen der in der DDR knappen Devisen die Auszahlung der Honorare in konvertierbarer Währung schwierig war. Meist standen die geschuldeten Beträge längere Zeit in Ost-Mark auf DDR Konten. Aber nach meinem Wissen täuschte Walter Janka niemanden über diese Umstände und erst recht veranlasste er nicht geheime „Plusauflagen“, deren Honorare nicht an die berechtigten Autoren, sondern an die SED gezahlt wurden. 

Sein Nachfolger, Klaus Gysi, war allerdings, wie später auch Elmar Faber, von anderem Kaliber. Er verengte das Programm des Verlages auf die von der SED vorgegebene Parteilinie. Der Aufbau-Verlag gab bewusst den bis dahin fruchtbaren Programmteil Philosophie auf und reduzierte drastisch den Anteil westlichen Literatur. Die Neuausrichtung des Verlagsprogramms auf eine „Nationalliteratur der DDR“ diente einerseits zur ideologischen Abschottung, andererseits war sie der Devisenknappheit der DDR geschuldet, was dann Anfang der sechziger Jahre zu den systematischen „Plusauflagen“ führte.

Die zum 1.1.1964 vom Politbüro der SED verordnete „Profilierung“ der Verlage reduzierte die gesamte Branche auf nur noch 78 lizenzierte Verlage, die zum Teil in gemeinsamen Betrieben arbeiteten, aber juristisch selbständig blieben, weil das Politbüro und der Ministerrat bestimmt hatten, „die Eigentumsverhältnisse bleiben unverändert“.

Der Aufbau-Verlag des Kulturbunds wurde danach, wie von Konstantin Ulmer ausführlich und literatursoziologisch durchaus kompetent geschildert, endgültig zum wichtigsten Literaturverlag der DDR. Sein weitgestecktes Gebiet umfasste die gesamte deutsche Literatur von ihren Anfängen bis zur jüngsten zeitgenössischen Gegenwartsliteratur, die gesamte ausländische Literatur von der Antike bis zur Gegenwart und die Literaturwissenschaft. Darin trug der Aufbau-Verlag mehr zum deutsch-deutschen Literaturaustausch bei als jeder einzelne Verlag in der Bundesrepublik, einschließlich des Luchterhand-Verlages, dessen Editionsgeschichte Konstantin Ulmer so gründlich erforscht hat.

1966 wurde Klaus Gysi Minister für Kultur der DDR. Sein Nachfolger wurde der langjährige Cheflektor Fritz Georg Voigt, der die Programme beider Verlage wieder erweiterte und vorsichtig für die zeitgenössische Literatur aus den „kapitalistischen“ Ländern öffnete.

Fritz Georg Voigt hatte nicht nur ausgezeichnete Werkausgaben klassischer Literatur ediert, sondern auch einige der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller der DDR und des Auslands im Programm des Aufbau-Verlages versammelt, als er erkrankte und schließlich im Jahre 1983 durch Elmar Faber als Verlagsleiter abgelöst wurde.

Damit trat eine Person an die Spitze des Aufbau-Verlages, die gegenüber den übergeordneten Behörden, den Mitarbeitern und Kollegen, auch in den polygraphischen Betrieben, sehr selbstsicher auftrat.

Elmar Faber wird in dieser Verlagsgeschichte geschildert wie ein Nachfahre des listenreichen Odysseus, der im Aufbau-Verlag „ebenso listig wie risikofreudig“ Heldentaten vollbrachte oder wenigsten davon erzählte, und stets bescheiden betonte, nur seine moralische Pflicht zu tun.

Konstantin Ulmer nennt die Veröffentlichung von Christoph Heins Buchs „Horns Ende“ eine „taktische Meisterleistung“, obwohl die obligatorische Druckgenehmigung schnell erteilt war, nach dem die Zensurbehörde mit ein paar kleinen Korrekturen ihre Existenzberechtigung bewiesen hatte. Erst nachdem die Belegexemplare eintrafen, ließ die Abteilung Kultur beim ZK auf Weisung des Politbüromitglieds Hager die Auslieferung an den Buchhandel stoppen. In der Autobiographie Fabers, erschienen im Aufbau-Verlag, und in anderen Büchern und Medien wurde aber das Märchen verbreitet, Faber habe in einem waghalsigen Husarenstück diesen Titel ohne Genehmigung oder sogar gegen den Willen der SED drucken und ausliefern lassen.

Konstantin Ulmer nennt das halbherzig eine Legende, die „später kolportiert wurde“. Es ist aber keine Legende, sondern eine Lüge, die Faber selber erzählte und noch ergänzte, dass es keine Heldentat war, weil er nur aus Selbstachtung so gehandelt habe. Mit seinen Behauptungen erfindet er eine DDR, in der Freiheit möglich gewesen wäre, wenn man sie nur – so wie er – genutzt hätte. In Wirklichkeit hatte er nur abgewartet, denn der Aufbau-Verlag war ebenso machtlos wie alle anderen Verlage der Zensur ausgeliefert. Die SED allein gewährte aus jeweils politischen Gründen für die Verlage nicht „Freiheit“, sondern „Freiraum“ in dem – wie die Literaturgeschichte zeigt – aber auch wertvolle Literatur entstehen kann.

Um ein bisschen von Fabers angeblichem „Husarenstück“ zu retten, behauptet Konstantin Ulmer, eine „vierstellige Anzahl Bücher, die in der Französischen Straße gelandet waren, ließ Aufbau daraufhin angeblich auf eigene Faust ausliefern.“ Auch das Wort „angeblich“ hilft hier nicht: Tatsächlich wurden die etwa 1.000 im Verlag gelagerte Exemplare erst nach dem Ende der Auslieferungssperre zum Verkauf freigegeben und einige davon gelangten bis in den Westberliner Buchhandel.

Auch im letzten Viertel des Buches finden sich interessante Ansichten zur literatursoziologischen Einordung der verlegten Bücher, aber eine gründliche Aufarbeitung der Verlagsgeschichte nach der Wende bietet das Buch nicht. Der noch immer andauernde Streit um das Eigentum am Aufbau-Verlag und das kriminelle Verhalten der Treuhandanstalt/BVS gegen den Kulturbund, den Verlag und die Käufer, aber auch das nicht weniger skandalöse Verhalten Elmar Fabers, und die tatsächlichen Umstände der Insolvenz – nicht des Verlages, sondern der vermögenslosen Hülle Aufbau-Verlagsgruppe GmbH – oder das erbärmliche Verhalten der Justiz, werden einfach hingenommen, als habe das alles nichts mit dem Aufbau-Verlag zu tun.

Wenn man dann fragt, was nach 75 Jahren bleibt, ist die banale Antwort: „Bücher und die Gewissheit, dass noch viele folgen werden.“

Als ich zum 50. Gründungstag gefragt wurde, um was es geht, war meine Antwort: um die demokratische Erneuerung Deutschlands.

Bernd F. Lunkewitz

August 2020

 

75 Jahre Aufbau-Verlag

Eine Antwort auf Michael Krüger

 

Von Bernd F. Lunkewitz:

Der ehemalige Geschäftsführer des Hanser Literatur Verlages, Michael Krüger, schrieb zum 75. Gründungsjubiläum des Aufbau-Verlages in der literarischen WELT, dieser Verlag sei „der regimetreueste Verlag der DDR“ gewesen, aber er habe in seiner langen und oft schwierigen Geschichte „alles überstanden, sogar den exzentrischen Immobilienmakler Lunkewitz“.

Den Vorwurf, ich sei exzentrisch, halte ich für ein ungewolltes Kompliment, denn ich wollte nie mittelmäßig sein. Auch die Bezeichnung als Immobilienmakler ist an sich nicht ehrenrührig, aber Krüger verwendet sie abwertend, um meine Leistungen als Verleger zu diskreditieren.

Immobilienmakler sind in Krügers Heimatstadt München wegen der hohen Immobilienpreise bei Ignoranten, die einen Boten für die von ihm überbrachte schlechte Nachricht verantwortlich machen, sehr unbeliebt und deshalb er kann sich des hämischen Beifalls sicher sein.

Ich gestehe, als armer Student und mäßig bezahlter Tutor am Deutschen Seminar, habe ich in den Semesterferien 1973 über die Jobvermittlung des AStA der Goethe-Universität einen Aushilfsjob bei „Richard Ellis, Chartered Surveyors and Property Consultants“ ergattert. Der Chef dieser ehrwürdigen Londoner Firma riet mir, daraus eine Karriere zu machen. Ich erlag der Versuchung. Nach fünf Jahren als „Immobilienmakler“ finanzierte eine Bank mein erstes eigenes Bürogebäude. Ich war seither nicht mehr „Makler“, sondern Eigentümer von bald noch mehr Grundstücken und Bürohäusern und schnell so wohlhabend, dass ich mein Leben fast ganz der Kunst und Literatur widmen konnte.

Mein aktives Engagement in der Studentenbewegung hatte ich schon lange vorher beendet, weil ich erkannt hatte, dass der „real existierende Sozialismus“ in der Sowjetunion und China ein brutales System zur nachholenden Entwicklung des Kapitalismus in diesen Staaten ist. Die DDR hielt ich für einen Vasallenstaat, dessen Gerontokratie bei einer Schwäche des russischen Imperiums sofort zusammenbrechen würde, wie sich fast zwanzig Jahre später erwiesen hat.

Der Aufbau-Verlag ist 1945, knapp drei Monate nach Kriegsende, vom „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gegründet worden. Er sollte zur der „geistigen und kulturellen Gesundung des deutschen Volkes und zur Überwindung der Naziideologie“ beitragen. Ein solcher Auftrag ist immer und überall, nicht nur in der DDR, mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Der Aufbau-Verlag hat aber tatsächlich alle Gefahren überstanden, die diesem Auftrag entgegenstanden und noch heute bereichern seine Autoren die deutsche Literatur mit wertvollen und bleibenden Werken.

Michael Krüger, dessen menschliche Schwächen der Überheblichkeit und des Dünkels, mir bekannt sind, beleidigt mich gezielt – warum ? – durch die Behauptung, der Aufbau-Verlag – gegründet in rauchenden Trümmern, eingeschränkt von Zensur und politischer Überwachung, erschüttert von stalinistischen Schauprozessen gegen seine Mitarbeiter, durch die Mauer getrennt vom geistigen Leben der Nation, geschwächt vom Exodus vieler Autoren und Leser, ausgeliefert dem Ministerium für Kultur der DDR und der dort veranlassten Lizenzverstöße, gelähmt vom Zusammenbruch dieses maroden Staates, existenzgefährdet wegen der kriminelle Behandlung durch die Treuhandanstalt –  habe das alles, alles überstanden und als Höhepunkt „sogar“ den Immobilienmakler Lunkewitz, der aus seiner Sicht die größte Gefahr für das Überleben des Verlages war.   

Lange vor der Wende erlebte ich die Sehnsucht der Menschen in der DDR nach Weltoffenheit und Freiheit. Ich sah aber auch, dass viele das Land nicht auf Dauer verlassen wollten, denn es ist ihre Heimat. Sie wurden und werden dort gebraucht. Manche damals von der SED, doch alle von ihren Familien und Freunden. Es ist sehr schwierig, sich davon loszureißen und wenn man es tut, heilt das nie ganz. Es gab in der DDR das richtige Leben im falschen (Staat).

In seinem Artikel mokiert Herr Krüger sich über die Leiter der DDR Verlage, die wie er angestellte Funktionäre waren. Aber sie waren nicht von ehrbaren Verlegerfamilien wie der Familie Hanser, sondern von der SED auf ihre Posten berufen worden. Bei einem Verstoß gegen deren Interessen riskierten sie ihre gesamte private Existenz.

Der Aufbau-Verlag, schrieb Walter Janka, das sind seine Autoren. Sie wurden von Michael Krüger durch die Behauptung beleidigt, Aufbau sei „der regimetreueste Verlag der DDR“ gewesen.

Sehr viele andere sehr gute Verlage in diesem Teil Deutschlands wurden in den Jahren ab 1933 geschlossen, arisiert, verboten, enteignet oder in den Westen vertrieben. Millionen Bürger der DDR, darunter viele Intellektuelle, verließen diesen Staat. Der „intellektuelle Exodus“ begann eben nicht, wie Michael Krüger meint, im Jahre 1976 mit der Ausbürgerung Biermanns, sondern sehr viel früher. Gerade der Aufbau-Verlag bemühte sich, diese fatale Entwicklung aufzuhalten, wenn auch nicht immer erfolgreich.

Michael Krüger rühmt sich, nach einem von ihm auf der Leipziger Messe erteilten Ratschlag: „die DDR könne nie wieder auf die Beine kommen, wenn sie nicht Philosophen ermuntern würde, die große Tradition der linken Theorie fortzuführen“ hätten ganz viele Menschen ihn angesprochen und gebeten, „das doch mal genauer zu erläutern“ und aufzuschreiben, was er „natürlich nicht getan“ habe. Ich nehme an, dieser seltsame Spruch wurde dort so oft kolportiert, weil er die Arroganz dieses Wessis offenbarte. Die DDR-Bürger wussten längst: das Elend dieses Staates lag nicht an der falschen Theorie.

Michael Krüger wuchs in Westdeutschland auf, wo zahleiche Naziverbrecher unbehelligt blieben und sogar wieder zu Amt und Würden kamen. Trotzdem konnte er es nicht lassen, sein Urteil über die langjährige Tätigkeit des Verlagsleiters Fritz Georg Voigt auf den etwas wirren Vorwurf zu reduzieren, „er war noch Mitglied der NSdAP bevor er nach dem Krieg bei Aufbau unter anderem als Parteisekretär des Verlages und als IM Kurt Karriere machte und zum Verlagsleiter aufstieg“. Wahr ist, dass Fritz Georg Voigt als 18-jähriger Soldat 1943 der Nazipartei beitrat. Diesen Fehler versuchte er nach dem Krieg als 21-jähriger Student durch den Eintritt in die SED und die Tätigkeit als IM „Kant“ für die „Sicherheitsorgane“ dieses „antifaschistischen“ Staates wieder gut zu machen. Ich weiß nicht ob Fritz Georg Voigt durch seine Kontakte zur Stasi gegen Gesetze oder den moralischen Anstand verstoßen hat. Als Verlagsleiter war er kompetent und beliebt bei den Autoren und Mitarbeitern.   

Michael Krüger zitiert in seinem Artikel den Verleger Siegfried Unseld, der ausgerechnet Martin Walsers missratenen Roman „Die Gallistl´sche Krankheit“ dem Aufbau-Verlag als Lizenz angeboten habe. Der Verlagsleiter Voigt hätte das Angebot abgelehnt und ich kann das verstehen, denn er war schon lange darin geübt, die Veröffentlichung von „sozialistischem“ Blödsinn möglichst zu vermeiden, obwohl – oder gerade weil – Martin Walser sich damals sehr stark für die DKP engagiert hatte.

Die realen Verhältnisse der Verlage der DDR blieben Michael Krüger offensichtlich völlig fremd. Er kennt weder die Lizenzbestimmungen und Eigentumsverhältnisse noch die Profilierung der Verlage der DDR und ihre Einordnung in die Strukturen der Zentrag und der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur. Er behauptet sogar, dass in manchen Verlagen, abseits von Berlin, die „Verleger“ „viel ungestörter“ ihre Autoren pflegten konnten als beim Aufbau-Verlag und wundert sich, „dass keiner der DDR-Verleger, die ja reisen konnten und Devisen hatten, je im Westen geblieben ist“. Er fragt mit einer dümmlichen contradictio in adiecto ganz ahnungslos „Warum ist keiner mitgegangen, als Biermann den Staat verlassen musste und ein intellektueller Exodus begann?“ Hat Michael Krüger wirklich keine Ahnung von dem intellektuellen Exodus, den dieser Teil Deutschlands schon seit 1933 erlitten hatte? Es gab seit 1964 bis Ende 1989 nur noch 78 Verlage in diesem Staat und der wertvollste davon war der Aufbau-Verlag, der nach der Wende ohne meine Führung untergegangen wäre, wie leider fast alle anderen Verlage der DDR.

Das traurige Ende dieser Verlage hat seine Ursache in dem Scheitern ihrer schwierigen Anpassung an das kapitalistische Verlagsgeschäft und dessen Vertriebssysteme. Nach dem Beitritt der DDR galt die Finanzierung dieser Anpassung nicht mehr als Teil der zu gemeinnützigen Zwecken, insbesondere der wirtschaftlichen Umstrukturierung im Beitrittsgebiet, vorgesehenen Verwendung des beschlagnahmten Vermögens ihrer früheren Eigentümer, der Parteien und Massenorganisationen der DDR. Darüber hinaus verhielt sich die Treuhandanstalt, eine unglaublich inkompetente Behörde, wie eine skrupellose Investmentbank, die auch vor kriminellen Methoden nicht zurückschreckte.

Die Behandlung des Aufbau-Verlages nach der Wende, das Verhalten der SED/PDS, des Kulturbunds, der Verlagsleitung und die Betrügereien der Treuhandanstalt bei der Privatisierung sind erstmals in dem Buch „Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung“ ausführlich dokumentiert dargelegt worden.

 

Bernd F. Lunkewitz: „Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung“,

ISBN 978-3-7529-8016-5. ePubli, 637 S., 29.99 €.

Bernd F. Lunkewitz, geboren 1947, war von 1991 bis 2008 Verleger des Aufbau-Verlages. 

 

Buchbesprechung – Die Treuhand

Marcus Böick

Die Treuhand

Idee – Praxis – Erfahrung

Wallstein Verlag

 

Das Buch beginnt mit der Feststellung: „Fast 25 Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung am 31. Dezember 1994 ist die Treuhandanstalt nach wie vor Gegenstand gegensätzlicher Bewertungen“ und zitiert dann lang und breit die jeweiligen moralisch und politisch motivierten Äußerungen der damaligen politischen Kräfte und Parteien in West und Ost über die Gründung und den jeweiligen Auftrag der Treuhandanstalt, dessen konkrete Durchführung allerding kaum dargestellt wird. Die eingangs behauptete „offizielle Auflösung der Treuhandanstalt am 31. Dezember 1994“ gab es nicht. Die im Buch sehr positiv dargestellte Frau Breuel schraubte vor der Presse lediglich das Namensschild an der Fassade der Treuhandanstalt ab, denn schon am 20. Dezember 1994 hatte die Bundesregierung eine Verordnung erlassen deren § 1 bestimmte: „Die Treuhandanstalt wird in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben umbenannt.“

Wer von dem Autor eine gründliche Darstellung der Privatisierung des Volkseigentums durch die Treuhandanstalt oder ihrer Aufgaben als Zwangsverwalter des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR erwartet hat, wird von diesem Buch enttäuscht sein, denn sein wesentlicher Inhalt ist stattdessen eine sehr umfangreiche und detaillierte Mentalitäts- und Befindlichkeitsgeschichte zahlreicher dort beschäftigter Personen, darunter Rohwedder und Breuel und einiger Vorstände, Direktoren und Abteilungsleiter. Der Autor erzählt die Binnengeschichte dieser Behörde anhand der beruflichen Wege ihrer Mitarbeiter, einschließlich ihrer Herkunft und Ausbildung und ihre jeweils eigenen und durchaus gegensätzlichen Bewertungen des Wirkens der Treuhandanstalt, ohne dass aber konkrete Tätigkeiten oder Privatisierungen dargelegt werden.

Der Text enthält allerdings sehr ausführlich die Bestandteile eines vom Autor selbst so genannten „soziokulturellen Wimmelbilds dieser Miniaturgesellschaft“ Treuhandanstalt ohne aber deren konkrete politische, juristische und wirtschaftliche Tätigkeit und die damaligen wirtschaftspolitischen und juristischen Grundlagen wirklich zu untersuchen. Folgerichtig beschreibt der Autor selbst den thematischen Hauptteil seines Buches so:  „Die systematisch analysierten individuellen Selbstreflexionen und subjektiven Verortungen der im Rahmen eines Forschungsprojekts des Ethnologen Dietmar Rost befragten Manager, Beamten und Kader zeigten die innerhalb des Treuhand-Personals praktizierten sozialen Fremd- und Selbsttypologisierungen sowie die hiermit eng verbundenen thematischen Spannungsfelder“.

Aha.

Als Abhandlung über die Soziologie des internen Treuhand-Milieus und die Befindlichkeiten dieses Personals mag das Buch dem an solchen Themen Interessierten genügen. Für die außerhalb dieses Milieus von der Tätigkeit der Treuhandanstalt und ihrer Eingriffe in die vorhandenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse betroffenen ist es allerdings egal, wie sich die Verantwortlichen der Treuhandanstalt damals oder später gefühlt und welche Meinung sie von sich selbst und ihren Kollegen haben.

Die befragten Mitarbeiter der Treuhandanstalt geben hier Auskunft über sich selbst, was für Soziologen oder Ethnologen noch interessant sein kann. Aber nur selten richten sich die Fragen und damit auch die Antworten auf die konkreten wirtschaftlichen und juristischen Umstände ihrer Tätigkeit und deren Ergebnisse. Die Wahrheit der Geschichte liegt aber nicht in den Meinungen sondern stets in den Tatsachen, den Akten und authentischen Dokumenten und bei wirtschaftlichen Prozessen in den Bilanzen, Verträgen und rechtlichen Grundlagen, die allerdings in diesem Buch kaum herangezogen werden.

Auf den Seiten 723 bis 733 fasst der Autor dankenswerter Weise den Inhalt des Buches zusammen.

Staatskriminalität auf beiden Seiten – Die kriminelle Vereinigung in der Treuhand

Im Sommer 2019 wurde ein Aktenvermerk vom 26.3.1992 aufgefunden, in dem die Treuhandanstalt durch ihren mit dem Verkauf des Aufbau-Verlages betrauten Abteilungsleiter im Referat Printmedien, Herrn Molinari, schriftlich erklärt, dass die vom Aufbau-Verlag in der DDR verbreiteten Raubdrucke ihr bereits während der laufenden Verhandlungen über den Verkauf des Verlages positiv bekannt gewesen sind.

Der Verleger Bernd F. Lunkewitz hatte am 24.03.1992 der Treuhandanstalt schriftlich vorgehalten, die Plusauflagen seien ihr bereits vor Abschluss der Verträge vom 18.09./27.09.1991 bekannt gewesen aber sie habe in den Vertragsverhandlungen und bei Vertragsschluss diese Kenntnisse vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig verschwiegen.

Herr Molinari telefonierte am 25.03.1992 mit Herrn Lunkewitz und bestritt die vorvertragliche Kenntnis der Plusauflagen. Er erklärte, die Treuhandanstalt verkaufe Chancen und Risiken und Herr Lunkewitz habe eben ein Risiko gekauft. Er könne den Laden ja zumachen.

Danach wandte er sich an Herrn Dr. Froeb im Direktorat Vertragsmanagement der Treuhandanstalt und diktierte den Vermerk vom 26.3.1992, den er gleichzeitig seinen Vorgesetzten, Herrn Direktor Dr. Sinnecker und Frau Dr. Wohlfahrt zur Verfügung stellte. Er habe, erklärte er darin, Herrn Lunkewitz bereits im Rahmen der Verkaufsverhandlungen wegen der besonderen Situation ausdrücklich persönlich angesprochen und ihn vertraulich über das Problem Plusauflagen informiert:

„… trifft die Aussage von Herrn Lunkewitz, daß wir im Rahmen der Verkaufsverhandlungen Umstände zumindest grob fahrlässig verschwiegen hätten, nicht zu. Wegen der besonderen Situation habe ich Herrn Lunkewitz ausdrücklich persönlich angesprochen und vertraulich über das Problem Plusauflagen, soweit es für uns erkennbar war, informiert.“

Damit gesteht er, dass er und die dort angesprochenen Vertreter der Treuhandanstalt schon vor dem Abschluss der Verträge vom 18.09. und 27.09.1991 von den „Problem Plusauflagen“ positive Kenntnis erlangt hatten. Die Schutzbehauptung, Herr Lunkewitz sei vor Vertragsschluss über die Plusauflagen informiert worden, ist unglaubwürdig und unschlüssig, da die Treuhandanstalt in gerichtlichen Verfahren bestreitet, vor Vertragsabschluss von den Plusauflagen Kenntnis erlangt und Herr Molinari erst gar nicht behauptet, auch die anderen Käufer informiert zu haben.   

Das ergibt sich auch aus dem Schreiben, mit dem die Zustimmungserklärungen zu den Verträgen vom 18.09. und vom 27.09.1991 an Herrn Notar Dr. Paul nach Frankfurt am Main übersandt wurde. Dort teilen Herr Dr. Sinnecker und Herr Molinari selbst mit:

„Sehr geehrter Herr Paul, wir übersenden Ihnen hiermit unsere Zustimmungserklärungen …   mit der Maßgabe, daß auch alle zwischenzeitlich den Käufern des Aufbau Verlages bis heute bekannt gewordenen bzw. bekanntgegebenen weiteren Entwicklungen bei den zu übernehmenden Verlagen als zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als offenbart zu betrachten sind.“

Die Treuhandanstalt suggerierte damit verklausuliert eine Vorverlegung des Kenntniserwerbs der Käufer von den Raubdrucken vom Zeitpunkt der Durchsuchungsaktion am 07.10.1991 auf einen fiktiven Zeitpunkt vor Vertragsabschluss am 27.09.1991. Dadurch sollten ohne benannt zu werden die verschwiegenen Raubdrucke als offenbart „zu betrachten“ sein, was allerdings bestätigt, dass sie gerade nicht offenbart wurden.

Mit diesen Formulierungen wollte die Treuhandanstalt die Haftung für die aus den Plusauflagen entstandenen Schäden auf die Käufer abwälzen. Die Treuhandanstalt hat deshalb bis heute gegenüber der Öffentlichkeit, den Käufern und den Gerichten jegliche Kenntnis der Raubdrucke vor der Durchsuchungsaktion am 7.10.1991 bestritten, zumal das Verschweigen dieser Kenntnisse ein rechtswirksamer Grund für die Anfechtung der Verträge ist.

Eine gutgläubige Verkäuferin hätte dagegen spätestens bei Übergabe der Vorstandsgenehmigung an den Notar darauf hingewiesen, dass Herr Lunkewitz (und die anderen renommierten Käufer) vor Abschluss der Verträge pflichtgemäß von Herrn Molinari über die Raubdrucke informiert worden seien. Angesichts der tatsächlichen Umstände hat aber selbst die Treuhandanstalt eine so drastische Lüge nicht gewagt, denn sie hätte die vorvertragliche Kenntnis der Raubdrucke einräumen und ihre Behauptung, die Käufer informiert zu haben, belegen müssen. 

Der Vermerk vom 26.3.1992 beweist unwiderlegbar, dass die Raubdrucke der Treuhandanstalt bekannt und daher mitteilungspflichtig waren. Statt die Käufer über diesen gravierenden Mangel der Kaufsache aufzuklären hat sie ihnen diese Informationen absichtlich verschwiegen und sie dadurch zum Vertragsschluss bewegt. Aus der Formulierung: „… habe ich Herrn Lunkewitz ausdrücklich … über das Problem Plusauflagen, soweit es für uns erkennbar war, informiert …“ ergibt sich zweifelsfrei, dass die für den Verkauf zuständigen Personen, insbesondere die Herren Molinari, Dr. Sinnecker, Dr. Froeb, ferner Frau Dr. Wohlfahrt, gemeinsam in die Täuschung der Käufer eingebunden gewesen sind.

Ihr positives Wissen haben sie den Käufern auch nach dem 27.09.1991 verschwiegen.

Die vorvertragliche Kenntnis der Treuhandanstalt von den Plusauflagen wird auch dadurch bestätigt, dass sie mit der Staatsanwaltschaft Berlin bei der Durchsuchungsaktion am 07.10.1991 gemeinsam handelte. Das ergibt sich auch aus dem Bericht, den Herr KOK Borchert am 07.10.1991 angefertigt hat. Darin ist festgehalten, dass als Vertreterin der Treuhandanstalt Frau Rieger anwesend war.

„Hierbei waren KHK Bechtner, BiBu’in Budack und Frau R i e g e r, Tel. 3154-7990, als Vertreterin der Treuhand (Gesellschafter) und Unterzeichner anwesend.“

Die Käufer hätten die Verträge vom 11.09. und vom 27.09.1991 und vom 24.11.1992 keinesfalls geschlossen, wenn die Treuhandanstalt sie über die Problematik der Raubdrucke aufgeklärt hätte.

Sie hat deshalb die Käufer durch Verschweigen der Raubdrucke arglistig getäuscht, um die zu erwartenden Schadensersatzansprüche der Geschädigten auf die Käufer abzuwälzen und sich die finanziellen Vorteile aus den Verträgen zu sichern.

Die Anfechtung aller mit Treuhandanstalt geschlossenen Verträge ist durch die Käufer deshalb zu Recht erklärt worden.

Bernd F. Lunkewitz

Die Märchen von Faber und Hein

Die Lüge im eigenen Leben

Christoph Hein, der vom Suhrkamp Verlag gern als „der Chronist deutsch-deutscher Verhältnisse, der präzise Sezierer einer einst geteilten Nation“, gefeiert wird, hat sein Genre gewechselt. Statt aus dem Leben der Anderen präzise zu berichten, hat er aus dem eigenen Leben Anekdoten veröffentlicht und damit eine Räuberpistole verfasst, die soeben gleichzeitig in zwei Büchern und zwei Verlagen erschienen ist. Einmal unter dem Titel „Horns Anfang“ in dem Buch „Gegen-Lauschangriff“ dieses renommierten Verlages, der wohl Texte berühmter Autoren aus Ehrfucht nicht lektoriert, und ein zweites Mal in dem Briefwechsel mit Elmar Faber, der in dem sehr kleinen Verlag Faber & Faber aus Leipzig unter dem Titel „Ich habe einen Anschlag auf Sie vor“ erschien. Die von Hein gehaltene Grabrede für den verstorbenen Verleger Elmar Faber ist das „Husarenstück“ dieses Buches.

Das auch von Elmar Faber, einem veritablen homo mendax, zu dessen Lebzeiten verbreitete Märchen geht darin etwa so:

Christoph Hein, Autor des 1982 vom Aufbau-Verlag veröffentlichten Buches „Der fremde Freund“, („Drachenblut“), gab Anfang 1984 dem damals neuen Verlagsleiter, Elmar Faber, das Manuskript eines Romans mit dem Titel „Horns Ende“.

Die leidige Zensurbehörde „Hauptverwaltung Verlage“ verlangte Änderungen und Striche. Die Zensoren waren faul, aber gaben nicht nach. Elmar Faber ging angeblich bis zu Kurt Hager, dem „Kulturchef“ der SED, „doch alles half nichts, das Manuskript blieb verboten. Als ihm klar wurde, dass er für das Buch nie grünes Licht bekäme, kitzelten ihn wieder einmal sein Stolz und seine Selbstachtung.

Er rief in der Druckerei an und teilte mit, er habe die Genehmigung für das Buch erhalten; die längst gedruckten Seiten könnten gebunden und das Buch ausgeliefert werden. Zwei Tage später – und noch bevor die Herren im Hohen Haus davon etwas mitbekamen – war Horns Ende in den Buchhandlungen und einen Tag danach verkauft und vergriffen. Das war ein einmaliger  Husarenstreich, den Elmar Faber da ausführte. Damit wurde Horns Ende das einzige Buch in der DDR, das ohne Genehmigung der Zensur erschien und gegen die ausdrückliche Entscheidung des obersten Zensors Hager.“

In der Suhrkamp Version wird die Geschichte noch etwas bunter. Hein erzählt von einem eingeschmuggelten Computer mit dem er die Zensoren überlistete. Er habe lediglich das Seitenlayout geändert, aber nichts am Text. Die faulen Zensoren hätten das nicht gemerkt. Doch nichts half, „das Manuskript wurde als staatsfeindlich eingestuft. Die Druckgenehmigung wurde nicht erteilt.“

„Mein Verleger, Elmar Faber vom Aufbau-Verlag, ersuchte nun alle paar Monate den ideologischen Chef des Politbüros um die Druckgenehmigung, doch der oberste Ideologiehüter ließ sich nicht umstimmen. Er war nicht bereit, die Publikation dieses „staatsfeindlichen“ Buches zu genehmigen. Diese Genehmigung wurde schließlich nie erteilt.“

Überraschend tritt bei einer Lesung ein mysteriöser junger Mann auf, der dem verdutzten Autor – im Tausch für ein signiertes Exemplar eines anderen Buches – ein Exemplar von Horns Ende, versteckt in einem Cover eines Karl May Buches in die Hand drückt und verschwindet. Elmar Faber habe neben ihm gestanden und laut lachend alles mitbekommen. Er könne das nur damit erklären, dass ein Drucker nach dem von Faber eigenmächtig veranlassten Druck ein paar Exemplare des ungebundenen Buchblocks heimlich mit einem fremden Cover versehen habe. Hein vergleicht diese Schmonzette mit gefährlichen Aktionen der illegalen KPD im Dritten Reich: „Nun hatte mein Roman in ähnlicher Camouflage den Weg zu den Lesern gefunden.“

„Ein Jahr später gab es noch immer keine Druckgenehmigung.“ Faber rief in der Druckerei an und erklärte, die Genehmigung sei erteilt. „Man druckte“ (nochmal?), „fünf Tage später (in der Grabrede sogar nach nur zwei Tagen) lag das Buch in den Buchhandlungen“ und auch in dieser Version, noch ehe die Hauptverwaltung Verlage und der Ideologiechef davon etwas mitbekamen, war die gesamte Auflage „verkauft und vergriffen“.

Der Kopf des Verlegers sei nur gerettet worden, weil die DDR die feindseligen oder bitteren Reaktionen der westlichen Presse scheute.

Dem Erfinder dieses Märchens ist irgendwann aufgefallen, dass der Aufbau-Verlag eine zweite Auflage des Buches in der DDR veröffentlicht hat. Dafür „eine Genehmigung einzuholen, hätte nur schlafende Hunde geweckt, auch sie schmuggelte sich an der Zensur vorbei. Damit wurde Horns Ende ein Roman, der in der DDR ohne Genehmigung erschien, und es war wohl das einzige Buch, das sich in dem Ländchen eines Tarnmäntelchens bediente, um auf die Welt zu kommen.“

Es war alles ganz anders

 In dem von Suhrkamp veröffentlichten Buch ist eine Anekdote mit dem Titel „Es war alles ganz anders“ enthalten. Christoph Hein berichtete über den im August 1948 in der früher Breslau und nun Wroclaw genannten schlesischen Stadt durchgeführten Weltkongress der Intellektuellen. Der Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, habe sich geweigert, in die von Polen „okkupierte“ Stadt zu reisen. „Dieser Mann musste unglaublichen Mut und ein erstaunliches Rückrat besessen haben.“ Aber dann erkannte Hein, dass dies „vollkommen der Politik der ostdeutschen Regierung“ entsprach. „Ulbricht weigerte sich, den Anweisungen Stalins bezüglich der deutschen Ostgebiete nachzukommen, und beharrte fünf Jahre lang auf der Rückgabe dieser deutschen Länder.“ Erst 1951 habe Stalin ihn gezwungen die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ anzuerkennen. Wer danach vom „deutschen“ Pommern oder Schlesien sprach, wurde als Kriegstreiber angeprangert. Wieder einmal wurde Geschichte revidiert und sei der Satz angebracht: „Es war alles ganz anders“.

Man mag dem Lektorat des Suhrkamp Verlages nachsehen, dass im Jahre 1948 die DDR noch nicht existierte und dass Johannes R. Becher erst im Januar 1954 zum Minister für Kultur ernannt wurde, aber die Geschichtsklitterung Heins vom fünfjährigen angeblichen Widerstand Ulbrichts, der ja „unglaublichen Mut und ein erstaunliches Rückrat besessen haben“ müsste, gegen die Deutschlandpolitik Stalins ist doch so peinlich, dass man sie auch einem Schlesier, der mit Recht den Verlust seiner Heimat betrauert, nicht durchgehen lassen kann.

In der Anekdote „Horns Anfang“ erzählt Christoph Hein nach Angaben des Suhrkamp Verlages „von seinen persönlichen Erlebnissen, von Zensur und Reise(un)freiheit – und schließlich davon, wie all das Geschichte wurde.“ Leider ist die Anekdote über die Druckgenehmigung zu „Horns Ende“ auch nur Geschichtsklitterung, denn es war alles ganz anders:

Am 10. September des orwellschen Jahres 1984 schickte Christoph Hein „das veränderte Manuskript“ des Romans „Horns Ende“ an den Aufbau-Verlag mit einem Begleitschreiben in dem er detailliert auf „sehr viele Korrekturen“ hinwies aber auch auf Erzählstränge, die er nicht verändern wolle, denn „nur, damit der Roman kommen kann, will ich ihn nicht so lädieren, daß ich mich seiner schämen muß.“

Die Herstellung der wegen vieler Änderungen notwendig gewordenen zweiten Abschrift des Romans behauptet Hein, der offensichtlich doch ohne Computer arbeitete, habe er selbst honoriert und wäre deshalb dankbar, wenn er, wie vom Lektorat zugesagt, „zumindest“ das übliche Honorar für das außerordentlich gute Typoskript bekommen könnte, „denn fehlerfreie Bücher wie nahezu fehlerlose Manuskripte gehören zu meiner Bibliomanie“.

Am 18. Dezember 1984 beantragte Elmar Faber, der im Mai 1984 Leiter des Aufbau-Verlages geworden war, bei der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur der DDR die Genehmigung für den Druck der ersten Auflage dieses Buches in Höhe von 20.000 Exemplaren. Am 25. Februar 1985 wies Klaus Höpcke, der stellvertretende Minister für Kultur und Leiter dieser Behörde die zuständige Abteilung an, die Druckgenehmigung zu erteilen. Am 26. Februar 1985 wurde dort der Antrag auf Druckgenehmigung unterzeichnet. Die Nummer 120/4/85 bezeichnete für den Aufbau-Verlag (Verlagsnummer:120) die 4. Druckgenehmigung im Jahr 1984. In der Rubrik Bemerkungen wurde eingetragen: „Direktive zu Erteilung der DG von Hn. Höpcke am 25.2.85“. Die Urkunde der mit dem Siegel des MfK und zwei Unterschriften versehenen Druckgenehmigung 120/4/85 wurde am 27. Februar 1985 ausgefertigt. Der Aufbau-Verlag übergab das fertige Manuskript des Buches zusammen mit der Urkunde an den graphischen Großbetrieb Karl Marx Werk in Pößneck, der im Juni 1985 mit der Satzherstellung begann. Die Erhöhung der Auflage auf 25.000 Exemplare wurde am 2. Juli 1985 genehmigt. Nach der Fahnenkorrektur gab der Verlag im Juli den Umbruch zum Druck frei.

Im Impressum des Buches ist pflichtgemäß die Lizenznummer 301 des Verlages der Nummer der Druckgenehmigung vorangestellt: 301.120/4/85. Anfang September lieferten die Drucker aus Pößneck die Bücher nach Leipzig an die zentrale Auslieferung LKG. Von dort wurden routinemäßig vorab die Rezensions- und Belegexemplare verschickt und die Auslieferung an den Buchhandel vorbereitet.

Erst dann musste irgend jemand Christoph Hein bei einem mächtigen Führungskader der SED verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, beschloss am 12. September 1985 die Abteilung Kultur beim ZK der SED auf Anweisung von Professor Dr. Kurt Hager, Mitglied im Politbüro der SED, die Auslieferung des Buches „anzuhalten“.

Am 24. September schickte der Luchterhand Verlag zwei Exemplare seiner soeben in der Bundesrepublik erschienen Ausgabe an Elmar Faber, der am 3. Oktober 1985 zwei Exemplare der Aufbau-Ausgabe als Beleg an den Luchterhand-Verlag schickte. So kann man es im digital erschlossenen Archiv des Aufbau Verlages nachlesen.

Der Stop der Auslieferung wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Nur ein kleiner Kreis „Interessierter“ wußte davon. Die Verlagsleitung erklärte auf Anfragen, dass die Auslieferung „noch nicht abgeschlossen“ sei und wartete auf die Entscheidung der übergeordneten Stellen. In der SED wurde heftig diskutiert. Der Minister für Kultur, Hoffmann, und der Leiter der HV, Höpcke, setzten sich für die Auslieferung ein. Die Leiterin der Abteilung Kultur beim ZK, Frau Ragwitz, schrieb am 23. Oktober 1985 an das Politbüro: „Genosse Höpcke hat sich für die Auslieferung entschieden“ und am 8. November bestätigte sie, „daß die Auslieferung“ (auch der in den Verlag gelieferten Exemplare) „nur mit unserer ausdrücklichen Zustimmung erfolgen würde.“ Aber erst nach dem Jahreswechsel wurde der Fall gelöst. Die Leiterin der Abteilung DDR Literatur in der HV, Frau Christine Horn, (auffällig ist die Namensgleichheit mit dem Titelhelden des Romans) notierte zur Information für Gen. Höpcke:

 „Betreff: Rezensionen zu „Horns Ende“ in DDR-Presseorganen. Nach unseren Informationen sind folgende Rezessionen erschienen: (Aufgrund der vor dem „Anhalten“ erfolgten Auslieferung von Rezensionsexemplaren)

Neue Zeit: vom 4.11.1985

Sächsisches Tageblatt: vom 12. oder 13. Januar 1986, Rezensent Bernd Heimberger (diese Rezension liegt dem Aufbau-Verlag als Ablichtung vor)

Thüringer Neueste Nachrichten: vor kurzem. Genaues Datum war noch nicht zu erfahren. Information von Weimarer Lektorat des Aufbau-Verlages

Horn, 20.1.86“

Das Buch war in der Bundesrepublik beim Luchterhand Verlag zum verabredeten Auslieferungstermin kurz vor der Frankfurter Buchmesse im Herbst 1985 erschienen. In der westlichen Presse waren bereits Rezensionen abgedruckt. Der Kulturminister Hans Joachim Hoffmann bat am 28.Oktober 1985 schriftlich beim Poltibüromitglied Kurt Hager, der das „Anhalten“ verfügt hatte, um die Aufhebung des Lieferstops und wiederholte diese Bitte am 16. Dezember.

Christoph Hein, der schon im Herbst 1985 seine Belegexemplare erhalten und bei einer Lesung im TIP (Theater im Palast) sogar einige der Bücher an Zuhörer verkauft hatte, wußte zwar dass die Auslieferung im Buchhandel der DDR noch nicht erfolgt war, kannte aber nicht den Grund der Verzögerung.

Nach dem Hinweis der HV auf die Lizenzausgabe des Buches in der BRD und auf positive Rezensionen in der DDR-Presse, die aufgrund des („vor dem Anhalten erfolgten“) Versands von Rezessionsexemplaren erschienen waren, hob die Abteilung Kultur beim ZK der SED schließlich im Januar 1986 den Auslieferungsstop für Horns Ende auf.

Im Protokoll der Sitzung des Leitungskollektives des Aufbau-Verlages am 27. Januar 1986 ist unter Punkt 3 („Verschiedenes“) lapidar vermerkt:  „Der Titel „Horns Ende“ wird ab 3.2.1986 im Verlag zum Verkauf angeboten.“

Ab dem 16. Februar 1986 wurden die in Leipzig lagernden Bücher kommentarlos an den Buchhandel der DDR ausgeliefert und waren sofort vergriffen.

Am 26. Juni 1986 schrieb Christoph Hein an die Leiterin der Vertragsabteilung des Aufbau-Verlages, dass er für eine Nachauflage noch im Jahr 86 wäre, denn „die Auslieferung hat sich ja doch insgesamt um zwei Jahre verzögert; und 2. den professionellen Kritikern unseres Landes ist dieser Titel in der 1. Auflage offensichtlich ausnahmslos entgangen“. „Gerade diese Leute wären dem Aufbau-Verlag für eine baldige Neuauflage besonders dankbar.“ Daß vielleicht ein diskreter Hinweis der SED die Ursache für die mangelnde Resonanz seines Buches in der DDR-Presse gewesen sein könnte, kam Christoph Hein nicht in den Sinn.

Wohl aus der persönlichen Erfahrung mit der Zensur hat Christoph Hein im November 1987 auf dem X. und letzten Schriftstellerkongress der DDR eine fulminante Rede gehalten: „Die Zensur ist überlebt, nutzlos, paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar“. Er belegt darin die Absurdität der Zensur und kritisiert kaum verhüllt die von der SED beherrschten Medien der DDR, die wegen ihrer Konformität und dem „verläßlichen Konsens ihrer Meinungen“ kaum mehr als ein paar Minuten Aufmerksamkeit erforderten, während selbst in der Sowjetunion jetzt gelte: „Man schlägt am Morgen die Zeitung auf und weiß nicht, was drin steht“. Von der Rede Christoph Heins auf dem Kongress erfuhren die DDR Bürger erst nach ein paar Tagen aus den Westmedien.

Der Aufbau-Verlag hat im Rahmen des Möglichen auch unter der Leitung Elmar Fabers seine Autoren gegen willkürliche Eingriffe der Partei verteidigt, allerdings auch auf dem Weg des vorauseilenden Gehorsams durch die sorgfältige Lektorierung in Hinsicht auf die jeweilige Parteilinie. Gelegentlich kam es trotzdem zu „Fehlern“. Die Auslieferung der mit 12.000 Exemplaren fertiggestellten Autobiographie „Kehre wieder über die Berge“ des Publizisten Walther Victor beispielsweise, der lebenslang ein linientreuer Parteigenosse gewesen war, wurde 1983 wegen der vom Lektorat übersehenen Erwähnung des von der SED tabuisierten Hitler-Stalin-Paktes ebenfalls heimlich „storniert“. Faber erreichte erst fünf Jahre später in einem Gespräch mit Klaus Höpcke die Genehmigung zur Auslieferung der „angehaltenen“ restlichen Exemplare dieses Buches. Die HV bestätigte am 13. November 1988:

„Die 1983 verfügte Stornierung der Auslieferung des Titels „Kehre wieder über die Berge“ von Walter Victor wird aufgehoben. Die noch vorhandenen rd. 4.400 Exemplare können ohne öffentliche Herausstellung … angeboten werden.“

Nach der Wende machte Elmar Faber aber nur aus dem schließlich ebenfalls mit Hilfe von Klaus Höpcke und dessen Vorgesetzten Hans Joachim Hoffmann widerrufenen „Anhalten“ der Auslieferung des Buches „Horns Ende“ sein persönliches Heldenmärchen, vielleicht um auf diese Weise etwas vom berechtigten Ruhm des Autors für sich zu reklamieren.

Die WELT hatte am 23. August 1983 eine falsche Meldung über Christoph Hein verbreitet: „Zweite Auflage eines „DDR“-Romans gestoppt“. Der Publizist Dr. Bilke behauptete darin: „Christoph Heins Novelle „Der fremde Freund“, 1982 im Ostberliner Aufbauverlag erschienen, wird in der zweiten Auflage nicht ausgeliefert und wird somit für „DDR“-Leser zum verbotenen Text“. Christoph Hein schrieb eine Gegendarstellung, die aber nicht gedruckt wurde. Im Kontext der Frankfurter Buchmesse 1983 wiederholte Dr. Bilke in der Welt und im Rheinischen Merkur seine falsche Behauptung. Tatsächlich war der Druck der zweiten Auflage wegen „Papiermangels“ nur verschoben worden, was Christoph Hein in Briefen an den Aufbau-Verlag bitter genug kommentierte.

Aber zwei Jahre später verfügte die Abteilung Kultur beim ZK der SED für das längst genehmigte und auch bereits gedruckte Buch „Horns Ende“ tatsächlich ein (geheim gehaltenes) „Anhalten“ der Auslieferung.

Als nach der Wende Gerüchte über Probleme bei der Veröffentlichung von „Horns Ende“ auftauchten, behauptete Faber plötzlich, dass dieses Buch auf seine Veranlassung ohne Genehmigung gedruckt und dann gegen den ausdrücklichen Willen der SED ausgeliefert worden wäre.

Da niemand widersprach, wurde diese Geschichte immer weiter ausgeschmückt. In zahlreichen Interviews, Pressemeldungen und den vom Aufbau-Verlag veröffentlichten Büchern zum 50., 70. und womöglich auch bald zum 75. Verlagsjubiläum ist das eine der zentralen Legenden, die Fabers heldenhaften Kampf gegen die Zensur, seinen „Piratenakt“ (Angela Drescher) oder „Husarenstück“ (Christoph Hein) und seine sagenhafte „Findigkeit“ belegen sollen. In seiner 2015 erschienen Autobiographie erzählt er detailliert, wie er den illegalen Druck des Buches im Sommer 1985 mit dem Leiter der Druckerei konspirativ verabredet und – in anderen Versionen – wie er nach einem vom SED-Kulturchef Hager persönlich verhängten Verbot das heimlich längst gedruckte Buch am nächsten Tag ausgeliefert habe. Diese riskanten Handlungen erklärt er bescheiden, seien aber keine Heldentaten gewesen, er habe sich schlicht aus Pflichtgefühl und zur Erhaltung seiner Ehre so verhalten müssen.

Die erteilte Druckgenehmigung verschwieg er und obwohl alle Druckgenehmigungen der HV Verlage, auch die für „Horns Ende“, im Bundesarchiv online einsehbar sind, verbreiten auch ernsthafte Journalisten bis heute diese Heldenmärchen, die wohl gut zu einem Träger des Bundesverdienstkreuzes (2007) passen. Aber warum der sonst fast pingelig ehrbare Christoph Hein, einer der bisher zu Recht angesehensten zeitgenössischen Autoren, von seinem Lektorat bei Suhrkamp im Stich gelassen, die Zensur in der DDR mit einer Köpenickiade verharmlost und seine unter schwierigen Umständen erworbene Glaubwürdigkeit durch die Verbreitung solcher Lügengeschichten zerstört, können wohl nur Psychologen erklären.

Für jeden Kundigen ist schon im Impressum der ersten Auflage an der dort genannten Nummer 301.120/4/85 erkennbar, dass die 4. Druckgenehmigung für den Aufbau-Verlag im Jahre 1985 ordnungsgemäß vor Drucklegung des Buches erteilt wurde. (DR 1/2132) (http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dr1_druck/index.htm)

In der DDR war der Druck eines Buches ohne Genehmigung und Lizenz ausgeschlossen. Auch ein genehmigtes Buch konnte jederzeit verboten werden. An der Zensur in der DDR änderte sich bis zur Wende nichts. Sie war überlebt, nutzlos, paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.

Bernd F. Lunkewitz