Das Unrecht im Namen des Volkes

In dem seit 2009 anhängigen Prozess der von Bernd F. Lunkewitz 1991 gegründeten BFL-Beteiligungsgesellschaft mbH gegen die Treuhandanstalt hat der 9. Senat des Kammergerichts am 30.7.2024 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Cornelia Holldorf ein in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik beispielloses falsches Überraschungsurteil verkündet, mit dem der Senat die Berufung der Klägerin zurückwies.

Das Gericht stellte im Sachverhalt fest, dass die Klägerin in 1991 von der Beklagten den Aufbau-Verlag, einen der bedeutendsten belletristischen Verlage der DDR, und den Verlag Rütten und Loening erwerben wollte und darüber mit der Beklagten am 18./27.9.1991 die Verträge zum Kauf der Geschäftsanteile an zwei „GmbH im Aufbau“ abschloss, aber tatsächlich nie Eigentümer dieser Verlage wurde.

In einem Verfahren gegen Verantwortliche der PDS hatte unabhängig davon die Staatsanwaltschaft schon im August 1991 ermittelt, dass vom Ministerium für Kultur der DDR verwaltete Verlage der Parteien und Massenorganisationen – darunter der Aufbau-Verlag – seit den sechziger Jahren auf Anweisung der SED die Lizenzverträge mit westdeutschen Verlagen und Autoren verletzt hatten. Die Verlage stellten mehr Bücher her als in den Verträgen vereinbart war. Sie verkauften diese „Plusauflagen,“ und führten die Lizenzgebühren über das Ministerium für Kultur an die SED ab. Die Staatsanwaltschaft und die Treuhandanstalt vermuteten intern, der Schaden der Lizenzgeber sei mehr als 25 Millionen DM.

Als die Geschäftsleitung des Verlages im Frühjahr 1992 aus den noch vorhandenen Unterlagen ihren Schaden in Höhe von mehr als 8 Millionen DM ermittelte, warf die Klägerin der Treuhandanstalt vor, bereits vor dem Abschluss der Kaufverträge vom 18./27.9.1991 von der Verletzung der Lizenzen gewusst zu haben, was die Treuhandanstalt vehement bestritt. Um eine Insolvenz zu vermeiden, vereinbarte die Treuhandanstalt mit den Käufern eine teilweise Freistellung von den Schäden, deren Kosten sie aber nur erstattet, wenn die Verlage rechtskräftig verurteilt werden.

Der Geschäftsführer der Klägerin, Bernd F. Lunkewitz, musst sich der Zwangsvollstreckung zu Gunsten der Treuhandanstalt bis in Höhe von 10 Millionen DM unterwerfen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Er verlangte von der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (UKPV) im September 1994 die Bezahlung der Schäden aus dem SED Vermögen. Daraufhin erklärte ihm ein Mitarbeiter der UKPV, dass Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Aufbau-Verlag nicht ein „OEB“ (die nur in der DDR existierende Rechtsform „organisationseigener Betrieb“) der SED/PDS, sondern des Kulturbunds war. Weil die SED/PDS mangels Verfügungsbefugnis den Aufbau-Verlag nicht in Volkseigentum übertragen konnte, blieb der Verlag das Vermögen des Kulturbunds und die Käufer hätten lediglich eine vermögenslose Hülle erworben. Die Käufer hatten die 1992 im Handelsregister eingetragene Aufbau-Verlag GmbH und die Rütten & Loening GmbH durch die irrtümliche Nachgründung der nichtexistierenden „GmbH im Aufbau“ selbst gegründet. Die im Handelsregister eingetragenen rechtsfähigen GmbH wurden aber nie Eigentümer dieser Verlage.

Die Treuhand behauptete im Außenverhältnis, die SED sei Eigentümerin der Verlage gewesen und habe sie im Frühjahr 1990 wirksam in Volkseigentum übertragen. Am 1.7.1990 sei der Aufbau-Verlag durch das Treuhandgesetz in eine „GmbH im Aufbau“ der Treuhandanstalt umgewandelt worden.

In dem Rechtsstreit vor dem Kammergericht 14 U 856 aus 96, hatte die Klägerin von der Treuhandanstalt die Erfüllung der Kaufverträge verlangt und stellte hilfsweise Anträge, darunter die Feststellung, dass die 1945 gegründete Aufbau-Verlag GmbH und die 1952 gegründete Rütten und Loening GmbH oder deren entstandene Rechtsnachfolger nicht nach dem Treuhandgesetz umgewandelt wurden. Der 14. Senat des Kammergerichts wies diesen Antrag ab und das Urteil wurde rechtskräftig.

Die Klägerin hat danach alle Verträge mit der Treuhandanstalt angefochten und in 2009 die Klage eingereicht, weil die Behörde über die Eigentumsverhältnisse der Verlage und die vorvertragliche Kenntnis der Plusauflagen arglistig getäuscht hat.

Die Vorsitzende Richterin Dr. Holldorf erklärte in der Urteilsverkündung die wichtigsten Gründe ihrer Entscheidung:

Die Klage sei unbegründet, weil der 14. Senat des Kammergerichts in dem Rechtsstreit 14 U 856 aus 96 feststellte, dass die Klägerin die Verträge vom 18./27.9.1991 ordnungsgemäß erfüllt hatte. Dieses Urteil halte der 9. Senat zwar für falsch, wie zu betonen ist, und das sei auch im Urteil bestätigt. Das frühere Urteil des 14. Senats sei aber rechtskräftig und entfalte damit eine Bindungswirkung für die Zukunft, die späteren abweichenden gerichtlichen Entscheidungen entgegensteht.

Die Treuhandanstalt hatte jedoch schon lange vor dem Urteil des 14. Senats die positive Kenntnis, dass der Aufbau-Verlag das Eigentum des Kulturbunds ist, oder hatte jedenfalls schwerwiegende Zweifel an ihrer Verfügungsbefugnis über den Aufbau-Verlag, da er nicht Volkseigentum war und nicht in eine GmbH i. A. umgewandelt wurde.

In den drei Entscheidungen des BGH in 2008, 2010 und 2011, dass die Rechtsform des OEB Aufbau-Verlags des Kulturbunds erst mit Ablauf des 2.10.1990 unterging, sind diese schwerwiegenden Zweifel der Treuhandanstalt rechtskräftig als berechtigt festgestellt worden. Der Aufbau-Verlag war nie Parteieigentum oder Volkseigentum und konnte durch das Treuhandgesetz am 1.7.1990 nicht umgewandelt werden.

Der 9. Senat des Kammergerichts wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen werden kann. Voraussetzung ist, dass das in Rede stehende Urteil unanfechtbar und objektiv unrichtig ist, dass der durch das Urteil begünstigten Partei die Unrichtigkeit bekannt ist, und dass besondere Umstände die Ausnutzung des Titels durch die begünstigte Partei als missbräuchlich erscheinen lassen.

Die Klägerin hat im Verfahren diese Voraussetzungen nachgewiesen, insbesondere, dass die Treuhandanstalt schon vor der Klageerhebung die positive Kenntnis des fortbestehenden Eigentums des Kulturbundes am Aufbau-Verlag hatte und dass sie das falsche Urteil des 14. Senats des Kammergerichts 14 U 856 / 96 durch den Vortrag bewusst falscher Tatsachenbehauptungen arglistig erschlichen hat, in kollusivem Zusammenwirken mit dem Sekretariat der UKPV und ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Papier.

Der Feststellungsantrag, dass die Rechtsnachfolger der Verlage nicht nach dem Treuhandgesetz umgewandelt wurden, hätte das Gericht als unzulässig zurückweisen müssen, da er sich nicht auf konkrete Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte bezieht, sondern auf die Beantwortung einer bloßen Rechtsfrage, für die das Gericht nicht zuständig ist. Darüber hinaus entstand dieses Urteil wie dargelegt durch arglistige Urteilserschleichung durch manipulativen Vortrag bewusst falscher Tatsachenbehauptungen. Die vom 9. Senat des Kammergerichts behauptete Rechtskraft des falschen Urteils des 14. Senats ist deshalb durchbrochen.

Obwohl der 9. Senat diese Täuschungshandlungen der Beklagten erkannt und festgestellt hat, und obwohl ihm bekannt war, dass die Treuhandanstalt auch in früheren Verfahren über den Verkauf der Verlage vorsätzlich pflichtwidrig gehandelt hatte, hat der Senat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Es ist mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar, dass die Beklagte ihre formelle Rechtsstellung durch das falsche Urteil des 14. Senats unter Missachtung der materiellen Rechtslage in diesem Verfahren zu Lasten der Klägerin ausnutzt.

Nach der Auffassung des 9. Senats ergäben sich auch aus dem Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit den Plusauflagen keine Ansprüche auf Schadensersatz. Die Treuhandanstalt sei zwar schon vor Abschluss des Vertrages vom 18./27.9.1991 über die Verletzung der Lizenzen durch „Plusauflagen“ informiert gewesen und habe ihr Wissen den Käufern auch schuldhaft verschwiegen, aber die Ansprüche seien verjährt, weil die Klägerin schon in 1992, allerdings ohne Kenntnis der Umstände, der Treuhandanstalt das Verschweigen der vorvertraglichen Kenntnis der Plusauflagen vorgeworfen hatte.

Die arglistige Täuschung über die vorvertragliche Kenntnis der Treuhandanstalt zu den Plusauflagen ist aber nicht verjährt: Die Beklagte verschwieg bei Unterzeichnung des Vertrages vom 18./27.9.1991 die Kenntnis der Plusauflagen. Die Durchsuchung des Verlages am 7.10.1991 machten die Plusauflagen öffentlich bekannt. Seither bestreitet die Treuhandanstalt ihre vorvertragliche Kenntnis der Plusauflagen.

Sie übersendete am 11.10.1991 den Käufern die Genehmigung des Vorstands, der sie in voller Kenntnis der Plusauflagen am 1.10.1991 unterzeichnet hatte, und bestritt bis zur Klageerhebung in 2009 und bis heute die vorvertragliche Kenntnis der Plusauflagen. In dem Prozess des Verlegers Bernd F. Lunkewitz hat das OLG Frankfurt noch in 2014 den Vorwurf der vorvertraglichen Kenntnis der Treuhandanstalt als „nicht nachvollziehbar“ zurückgewiesen. Die Klägerin konnte die arglistige Täuschung zweifelsfrei erst nach einer Akteneinsicht im Bundesarchiv im Oktober 2022 durch einen Vermerk des Direktorats Recht der Treuhandanstalt nachweisen.

Der 9. Senat erklärte in der Urteilsverkündung, die Beklagte wäre vor dem Abschluss der Kaufverträge vom 18./27.9.1991, „verpflichtet gewesen, die Klägerin über die Plusauflagen aufzuklären.“ Die Behauptung der Treuhandanstalt, sie habe die Klägerin vor dem Verkauf über die Plusauflagen informiert, „ist von der Klägerin bestritten worden und seitens der Beklagten beweisantrittslos geblieben. Die Beweislast dafür, dass die Klägerin vor Vertragsabschluss ausreichend informiert worden ist, die Beklagte also ihre Pflicht erfüllt hatte (§ 362 BGB), trägt aber die Beklagte.“ (Urteil, S. 44)

Damit bestätigt der 9. Senat des Kammergerichts in seinem Urteil, dass der Vorstand der Treuhandanstalt und die verantwortlichen Mitarbeiter dieser bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts, die Behörde als eine staatlich organisierte kriminelle Vereinigung zum Betrug der Bürger und der Gerichte nutzten.

Sie täuschten in kollusiver Zusammenarbeit mit dem Sekretariat der UKPV und dessen Vorsitzenden, Prof. Dr. Papier, der drei Monate vor dem falschen Urteil des 14. Senats des Kammergerichts vom Bundestag und Bundesrat zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgericht berufen wurde, sittenwidrig die Käufer des Aufbau-Verlages, den Rechtsverkehr und die Gerichte, um die Käufer, den Aufbau-Verlag, dessen Autoren und Mitarbeiter und die 260.000 Bürger der DDR, die Mitglieder des Kulturbunds waren, vorsätzlich zu schädigen.

Eine Verjährung der arglistigen Täuschung über die vorvertragliche Kenntnis der Treuhandanstalt über die Verletzung der Lizenzverträge ist schon deshalb nicht eingetreten, weil die Beklagte ihre positive Kenntnis der Plusauflagen beim Vertragsabschluss verschwieg und seit dem 7.10.1991, als die Staatsanwaltschaft die Plusauflagen den Käufern und der Öffentlichkeit bekannt machte, vehement ihre vorvertragliche Kenntnis bestreitet.

Nach der Mittagspause fragte das Gericht in diesem Feststellungsverfahren nach Vergleichsmöglichkeiten.

Die Klägerin bezifferte die ihr in dreißig Jahren entstandenen Schäden in Höhe von etwa 60 Millionen € plus Zinsen. Die Beklagte bot einen Betrag in Höhe von ca. € 450.000,00 an. Tatsächlich hat die Klägerin schon für den Kauf der nichtexistierenden GmbH i. A. 4 Millionen DM und über dreißig Jahre viele Millionen für die Rechtsstreitigkeiten aufgewendet.

Wegen der Plusauflagen gab es erhebliche Probleme im Lizenzbereich und im Buchhandel, die große Verluste der vermögenslosen Hülle Aufbau-Verlag GmbH verursachte, insbesondere der Verlust bedeutender Autoren.

Das Problem der ungeklärten Eigentumsverhältnisse, die nur der Beklagten bereits umfassend bekannt waren, erschwerten Investitionen, was zu Verlusten führte. Als der BGH in 2008 entschied, dass der Aufbau-Verlag am 1.7.1990 nicht hatte umgewandelt werden können, weil der Kulturbund dessen Eigentümer geblieben war, war für die Klägerin die Eigentumslage geklärt.

Es dauerte wegen des fortgesetzten Prozessbetrugs durch die Treuhandanstalt, die der Fachaufsicht des Bundesministerium der Finanzen untersteht, aber noch 15 Jahre, bis das erst 2017 dem Bundesministerium des Innern und für Heimat zugeordnete Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) in 2022 den am 11.10.1990 gestellten Restitutionsantrag des Kulturbunds abwies, weil er sein Eigentum am Aufbau-Verlag nicht verloren hatte, sondern den Aufbau-Verlag in 1995 wirksam an den Verleger Bernd F. Lunkewitz persönlich übertrug.

Der 9. Senat des Kammergerichts hat die arglistigen Täuschungen der Treuhandanstalt über die Plusauflagen und die Eigentumsverhältnisse der Verlage erkannt und bestätigt, aber Verjährung und Bindung an die Rechtskraft behauptet.

Mit dieser Begründung der Abweisung der Klage verkündete der 9. Senat des Kammergerichts nicht das Recht, sondern das Unrecht im Namen des Volkes.

Bernd F. Lunkewitz