Buchbesprechung: „Die grosse Enteignung. Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte“

„Keine Untat der Treuhand darf sicher sein, dass sie weiter im Verborgenen bleibt.“

Otto Köhler

Die Grosse Enteignung“, 2011. Verlag das Neue Berlin, 349 Seiten. 19,95€

ISBN 978-3-360-02127-4

Das Buch von Otto Köhler mit dem Titel „Die Große Enteignung“, ist eines der besten bisher über die Treuhandanstalt geschriebenen Bücher, weil es – trotzt seiner gelegentlich sarkastischen Sprache und der eher journalistischen Darstellung – den inneren Charakter dieser Überbehörde oder Nebenregierung Ostdeutschlands intuitiv und außerordentlich zutreffend erfasst.

Es ist ganz erstaunlich, dass dieses Buch so unmittelbar nach den dort geschilderten Ereignissen geschrieben werden konnte, denn gewöhnlich brauchen auch Historiker einen größeren Abstand, um das, was zwar vor aller Augen geschehen ist, aber trotzdem von keinem begriffen wird, zutreffen zu schildern und zu beurteilen.  

Selbst nach zwanzig Jahren ist an der Darstellung heute kaum etwas zu ändern oder zurückzunehmen. Wer die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung seit der Wende bis heute in den „neuen“ Bundesländern und deren Wirkung darüber hinaus verstehen will, muss daher dieses Buch gelesen haben.

Köhler beschreibt anschaulich den Hintergrund, die handelnden Personen und die bis in die Zeit des Nationalsozialismus reichenden Traditionslinien der Blitzkrieg-ähnlichen Übernahme des „Beitrittsgebiets“ durch den westdeutschen Staatsapparat und in dessen Gefolge durch die führenden westdeutschen Wirtschaftsunternehmen. Die drastischen Schilderungen des wirtschaftlichen Niedergangs ganzer Regionen, die darauf folgende Abwanderung zahlreicher – gerade junger und leistungsfähiger Bürger – aus Ostdeutschland und die Aufzählung der „plattgemachten“ an sich überlebensfähigen Betriebe lassen zwar die spürbare Erhöhung des Lebensstandards in Ostdeutschland und auch die einzelnen „Inseln“ mit heute erkennbaren wirtschaftlichem Aufschwung etwas zu sehr außer acht, aber das mag auch darin begründet sein, dass dieser wirtschaftliche Aufschwung nicht wegen, sondern trotzt des Wirkens der Treuhandanstalt eingetreten ist.

Die bis heute geleisteten enormen Transferleistungen aus dem Westen haben durchaus positive Wirkung in den neuen Bundesländern, auch wenn die dorthin fließenden Gelder zum großen Teil – wie gehabt – über den Kauf von „Westprodukten“ sogleich wieder abfließen und eine vergleichbare Kapitalbildung in vermögenden Schichten der dortigen Bevölkerung in weiter Ferne liegt.

Es greift sicherlich auch zu kurz, die Einleitung und Durchführung der „Sturzgeburt“ Währungs- und Wirtschaftsunion hauptsächlich den persönlichen Entscheidungen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, des Finanzministers Theo Weigel oder gar der Staatssekretäre und Ministerialbeamten wie Horst Köhler und Thilo Sarrazin zuzuschreiben.

Dieser für journalistische Texte verständliche Ansatz strickt eher (von der anderen Seite) an der Legende des genialen Staatsmannes Kohl, der die deutsche Einheit – zu welchen Kosten auch immer – im Alleingang erreicht hat. Mir fällt bei der Beschreibung der Taten großer Männer immer das Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von B. Brecht ein: „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“

Die westdeutsche Wirtschaft hätte so oder so die DDR übernommen und selbstverständlich dort jede Konkurrenz ausgeschaltet und die profitablen Bereiche übernommen. Wer denn sonst? Kein Ostdeutscher hatte auch nur ansatzweise genügend Kapital um da mitzuhalten.

Helmut Kohl war ein Getriebener, oder noch anschaulicher: er saß damals auf Bock einer Kutsche, deren Pferde durchgegangen waren und konnte nur noch beten, dass sie nicht umfällt. Denn nach dem  Fall der Mauer war die schnelle Wiedervereinigung unvermeidlich.

Kein Bundeskanzler hätte sich dem nationalen Überschwang auf der einen Seite und der Gier nach Profit auf der anderern Seite entgegestellen können und es war – wie nach der Erstürmung einer belagerten Stadt im Mittelalter unvermeidlich, dass die siegreichen Truppen plündern und zerstören würden. Die Beschreibung der Glücksritter und Betrüger oder der nur Unfähigen und Einfältigen in und außerhalb der Treuhandanstalt liest man daher heute mit einem fast behaglichen Schaudern über die Schlechtigkeit der Menschen. Man darf sich dadurch aber nicht von der strukturellen Bösartigkeit der Organisation Treuhandanstalt und der Manipulation der Unabhängigen Kommission nach ihrer Übernahme durch die Bundesregierung ablenken lassen.

Köhler weist in seinem Buch zu Recht darauf hin, dass die Treuhandanstalt genau das verkörperte, was sich in dem Nietzsche Zitat findet: „Staat“ heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: »Ich, der Staat, bin das Volk.“

Im Nachwort unterläuft Köhler ein kleiner, aber nicht unwichtiger Fehler: die ominöse Freistellung der Treuhandmitarbeiter für grobe Fahrlässigkeit („Unter Außerachtlassung einfachster und nächstliegender Überlegungen“) durch die Bundesregierung bezieht sich natürlich nur auf arbeitsrechtliche, verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Folgen solcher Handlungen. Eine Freistellung für die Verantwortung von Straftaten gegen Dritte kann auch eine Bundesregierung nicht geben, jedenfalls nicht offiziell. Da hilft dann nur noch die Weisungsbefugnis der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft, notfalls auch, je nach Temperament, vorauseilender Gehorsam oder eindringliche Gespräche mit den zuständigen Staatsanwälten und Richtern.

Bisher ist es nur zu Verurteilung von Straftätern gekommen, die auf irgendeine Weise die Treuhandanstalt betrogen und geschädigt haben. Für die zahllosen Betrugshandlungen und den ungeheuren Schaden, den kriminelle Treuhandmitarbeiter bis hinauf zu Vorstand angerichtet haben, wird sich – auch das eine Parallele zu den Verhältnissen nach 1945 – kein Staatsanwalt und daher auch kein Richter finden.

Die Treuhandanstalt verschließt bisher die wichtigsten Geheimnisse ihrer Taten in ihrem innersten Kernbereich vor der Öffentlichkeit, aber auch die Gerichte halten ihre eigenen Geheimnisse des Umgangs mit den Taten und Versäumnissen der THA unter Verschluss.

Es wäre zu wünschen, dass nicht erst Historiker späterer Generationen – wie bei den verbrecherischen Richtern der Nazis – das Versagen der Justiz bei der Beurteilung der Treuhandanstalt entlarven.

Bis dahin mag es die Täter in der Treuhandanstalt und in der Justiz trösten, dass sie erst lange nach ihrem Ableben entlarvt und posthum verachtet werden, so dass sich die Enkel ihrer schämen werden.

Zu den besten Stellen des Buches gehört daher der utopische Aufruf zur Schaffung einer Erfassungsstelle für Treuhandunrecht und die Forderung: „Keine Untat der Treuhand darf sicher sein, dass sie weiter im Verborgenen bleibt.“

Das wird geschehen, denn der deutsche Staat, der selbst die bestialischen industrialisierten Morde in den Konzentrtionslagern akribisch dokumentiert hat, wird auch diese Akten aufbewahren.

 

Bernd F. Lunkewitz